Am Ende der Essensschlange

SOZIALES Bremerhavens Tafeln rufen um Hilfe: Immer mehr Bulgaren und Rumänen stehen bei ihnen für Essen an – weil das Sozialsystem sie zwecks Abschreckung nicht auffängt. Nun werden Almosen knapp

„Es sind Menschen, denen man ansieht, dass sie Hunger haben“

Manfred Jabs, Vorsitzender des Bremerhavener Tafel-Vereins

Kaum noch genug Lebensmittel haben die Tafeln in Bremerhaven. Menschen aus Bulgarien und Rumänien bekommen nicht mal Hartz IV. Sie stehen zunehmend für die Essensspenden an. Manfred Jabs, Vorsitzender der Bremerhavener Tafel, bittet deshalb die Stadt um Unterstützung.

„Im Moment haben wir die einzelnen Rationen ein bisschen gekürzt“, sagt Jabs, „wir müssen sehen, wie wir aus der Lage rauskommen“. Er spreche Firmen an, die bislang nicht mit der Tafel kooperierten, auf Grund von Presseberichten würden nun auch vermehrt kleine Essensspenden von Bürgern eingehen. Am Freitag habe jemand einen großen Beutel mit Brot vorbeigebracht. Aber ein Obolus von der Stadt, der wäre dringend nötig.

Der Engpass entsteht im Winter, weil nicht so viel frisches Obst und Gemüse da ist. Auch hat Bremerhaven weniger Lebensmittelfabrikanten als Bremen. Vor allem aber sind die Schlangen vor der Ausgabestelle, an der sich arme Menschen Essen holen könne, derzeit besonders lang: Bulgaren und Rumänen flüchten vor der Armut in ihren Ländern nach Deutschland. In Bremerhaven ist ihre Zahl von 456 Ende 2011 auf 900 angestiegen. Es sind Bürger der EU, der volle Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt aber wird ihnen noch bis 2014 verwehrt. Ihre Situation ist dadurch besonders schlimm: Sie haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen, weder für Lebensmittel noch Miete. Oft leben sie mit sehr vielen Menschen in einem Haus, Integrationskurse gibt‘s nicht. Sie können sich selbstständig melden oder als Saisonarbeiter verdingen, ansonsten bleiben die Almosen der Tafeln.

Doch, auch dort stehen sie buchstäblich ganz hinten an: Um zu bekommen, was im Handel übrig blieb, müssen Menschen ihre Bedürftigkeit bei den Tafeln erst nachweisen – normalerweise läuft das über das Vorzeigen eines Hartz IV-Antrags. Bulgaren und Rumänen haben ihre Armut nicht schriftlich. „Weggeschickt werden sie nicht“, sagt Jabs. Sie bekommen, was die „offiziellen“ Armen übrig lassen. „Es sind Menschen, denen man ansieht, dass sie Hunger haben“, sagt Jabs. Dass ihr Status ein Politikum ist, sei eine andere Sache.

Was er meint, erklärt Bernd Schneider, Sprecher der Bremer Sozialsenatorin: „Es ist vom Gesetzgeber an höherer Stelle so gewollt, dass man keinen Zugriff auf das Sozialsystem zulässt. Dadurch will man die Armutsmigration verhindern“. Es fehle die rechtliche Möglichkeit, die EU-BürgerInnen aus Bulgarien und Rumänien zu unterstützen. „Die Kommunen werden allein gelassen“, sagt Schneider. In Bremerhaven trete das Problem stärker auf, weil „das informelle Hilfesystem weniger ausgeprägt“ sei.

„Das können wir als kleine Kommune nicht richten“, sagt auch Klaus Rosche (SPD), Sozialstaatsrat in Bremerhaven, „es ist eine Hängepartei“. Viel laufe derzeit über das Gesundheitsamt: Kindern, die dort medizinisch behandelt würden, bekämen nun ein Empfehlungsschreiben für die Tafeln. Auch verweist er auf eine eigene Beratungsstelle, die Bremerhaven nun für Rumänen und Bulgaren einrichten wird (taz berichtete). Damit gehe man „einen Schritt nach vorn“, so Rosche. Seit einer Woche ist die Stelle ausgeschrieben. jpb