Abschaffung von Studiengebühren: Rot-Rot-Grün verpatzt Gesetz
Weil die Opposition im Gesetz zur Abschaffung der Studiengebühren einen wichtigen Satz verschlampt hat, weigert sich Hessens Ministerpräsident es zu unterschreiben. SPD, Grüne und Linke sind empört.
Rote Röschen, grüne Blättchen und viel Zucker, die riesige Torte war einige Stunden zu früh angeschnitten worden. Fassungslos hörten die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Grünen und der Linken am späten Donnerstagnachmittag im hessischen Landtag, wie Ministerpräsident Roland Koch (CDU) ihre gerade mit dem Kuchen gefeierte Wiederabschaffung der Studiengebühren in einer überraschenden Regierungserklärung abmeierte.
Er werde das Gesetz, das die rot-rot-grüne Parlamentsmehrheit gegen seine geschäftsführende Regierung beschlossen hatte, nicht unterzeichnen, verkündete Koch. Es sei verfassungswidrig, fehlerhaft und bewirke für die Studierenden nachgerade das Gegenteil der Befreiung der erst vor einem Jahr eingeführten Studienmaut von 500 Euro pro Semester. Der Formfehler beinhalte, dass zwar der Anspruch der sozial schwachen Studenten auf günstige Kredite aufgehoben werde, nicht aber die Gebührenpflicht selbst.
Die Opposition tobte, warf Koch Täuschungsmanöver vor, mit denen er sie ins offene Messer habe rennen lassen. Er habe, sagte SPD-Chefin Andrea Ypsilanti, "sein wahres Gesicht gezeigt". Grünen-Chef Tarek Al-Wazir rief: "Meine Oma sagte immer, die Katze lässt das Mausen nicht, und ich sage: Roland Koch bleibt Roland Koch!" Die Linken-Abgeordnete Janina Wissler erklärte: "Sie werden Studiengebühren nicht halten können, genauso wie Sie sich nicht werden auf der Regierungsbank halten können."
Koch gab in einer eilig einberufenen Sitzung des Ältestenrates zu, schon seit zwei Tagen von den Mängeln gewusst zu haben. Nach den Worten Al-Wazirs ist der entscheidende fehlende Satz im Gesetzentwurf "bei der Übertragung elektronisch verschwunden". "Das darf nicht passieren, ist aber passiert", sagte er am Freitag. Die SPD erklärte, sie trage keine Verantwortung für die Panne. Grünen-Geschäftsführer Mathias Wagner sagte, er könne ein entsprechendes Versehen nicht ausschließen.
Nun will Koch gegen das Gesetz formal Einspruch erheben, sodass es in einer dritten Lesung nachgebessert werden kann. Zu diesem Zweck beschloss der Ältestenrat eine Sondersitzung des Parlaments am 17. Juni, auf der das vom Fehler befreite Gesetz noch einmal abgestimmt werden soll.
"Studierende und ihre Eltern", erklärte Ypsilanti, "müssen sich nicht sorgen." Gegner der Studiengebühren protestierten am Freitag. Der Freie Zusammenschluss von StudentInnenschaften nannte es eine Unverschämtheit, dass Koch seine Unterschrift verweigert habe. Hessens DGB-Chef Stefan Körzell sagte, der politische Anstand verlange es, auf Mängel in Gesetzentwürfen hinzuweisen. Koch sagte, seine Regierung habe juristische "Handreichungen" gegeben und Neuformulierungen angeboten, sei aber nicht "Kindermädchen der Mehrheitsfraktionen".
Mit dem Eklat, sagte Al-Wazir, sei eine von Koch angestrebte schwarz-grün-gelbe Koalition in weite Ferne gerückt: "In Jamaika hagelt es gerade." (mit AP)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod