Weiträumig abgeschirmt durch Friedrichshain

DEMONSTRATION Beim Protestzug in Erinnerung an die „Liebig 14“-Räumung war viel Polizei zu sehen

Kurzerhand wurde ein ganzer Kiez besetzt

Wenigstens der Regen hatte Erbarmen. Pünktlich um 16 Uhr zog er am Samstag weiter und ermöglichte den wenigen geschminkten Demonstrationsteilnehmern die ungestörte Präsentation ihrer Zombiegesichter.

Die Polizei war da weniger zuvorkommend. Ähnlich wie an traditionsreichen Tagen wie dem Ersten Mai wurde kurzerhand ein ganzer Kiez besetzt – als ob man in Friedrichshain bei der Demo, mit der am Samstag an die Räumung des linken Wohnprojekts „Liebig 14“ vor zwei Jahren erinnert werden sollte, brandschatzende Horden erwarten würde, die die Stadt in Schutt und Asche legen.

Es gab Vorkontrollen, die Beamten waren den Teilnehmern zahlenmäßig überlegen, das ein oder andere Zombiegesicht wurde auf eventuelle Vermummung überprüft. Gleichzeitig wurde der Demonstrationszug mit etwa 400 Teilnehmern weiträumig abgeschirmt. An manchen Stellen erinnerten die durch Polizeiwannen gebildeten Korridore an Demos von so unbeliebten Organisationen wie Pro Deutschland.

Man war sichtlich bemüht, die vorhergesagte Eskalation sofort zu unterbinden; immerhin hatte es bei der Räumung und den anschließenden Krawallen vor zwei Jahren einen Millionenschaden und über 60 verletzte Beamte gegeben.

Insofern könnte der objektive Beobachter durchaus zu dem Schluss kommen, dass angesichts dieser Ereignisse die Maßnahmen der Polizei nachvollziehbar seien. Wenn die ganze Geschichte nicht einen kleinen Haken hätte. Denn bereits vor einem Jahr gab es eine „Zombie- und Clowndemo“ zum Jahrestag der Liebig-14-Räumung. Damals wurden im Vorfeld weitaus mehr Teilnehmer erwartet als in diesem Jahr, und die Wut über die Räumung war noch frisch. Trotzdem ging man bei der Berliner Polizei damals nicht davon aus, dass es zu Krawallen kommen würde, und hielt sich entsprechend zurück. Die Beamten wussten nämlich damals wie heute, dass die Krawalle nach der Räumung alles andere als organisiert waren und nur einigen Zufällen und auch Fehlern in der Polizeistrategie zuzuschreiben waren. Warum also ändert sich die Einschätzung der Beamten so extrem, nachdem ein weiteres Jahr vergangen ist? Und das, wo Motto und Veranstalter offensichtlich auf Satire setzten?

„Mehr Rendite mit der Miete“ war so auf dem Fronttransparent zu lesen. Da der Lautsprecherwagen erst mit über zwei Stunden Verspätung eintraf, musste man sich selbst in Stimmung bringen, und dem entsprechend schallte es immer wieder: „No justice, no peace / wir kaufen euren Kiez“, oder: „Eins, zwei, drei / mehr Polizei!“, durch die Friedrichshainer Straßen. Viele der Teilnehmer hatten sich mit Sakkos und Sonnenbrillen „verkleidet“. Die ersten Reihen des Zugs bildeten die sogenannten Yuppies, die sich immer wieder der Angriffe der „Zombies“ erwehren mussten, die, etwa mit Mehl bewaffnet, Überraschungsangriffe auf die Demospitze starteten.

Die Veranstalter hatten angekündigt, die Demonstration nicht als Ikonisierung eines Relikts zu verstehen, sondern als Plattform, um auf die aktuellen Debatten und anstehenden Kämpfe um Verdrängung und Zwangsräumung aufmerksam zu machen.

So mag sich auch der Sinn der massiven Polizeipräsenz erschließen – als einschüchternde Beobachtung der Aktivisten einer stetig wachsenden Mieterbewegung. JURI STERNBURG