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Übers Altern im NationaltrikotDie Zähne der Zeit

Titelverteidiger trennen sich meistens allzu spät von den lebenden Legenden in ihren Reihen. Aus "großen alten Männern" wird früher oder später der erlahmende Ballast eines Teams.

Frankreichs Nationalelf: Im Durchschnitt zu alt für den Titelgewinn. Bild: dpa

WEISE WORTE ÜBER DAS ALTER IM SPORT

"Der große Sport fängt da an, wo er längst aufgehört hat, gesund zu sein."

Bertolt Brecht

"Alt wird man wohl,

wer aber klug?"

Johann Wolfgang von Goethe

"Da hilft nur: Bein aufsägen und Jahresringe zählen."

Otto Pfister, Trainer, über das Alter seiner Fußballer

"Man ist in den besten Jahren, wenn man die guten hinter sich hat."

André Maurois, frz. Schriftsteller

"Das Alter ist wie die Woge im Meer. Wer sich von ihr tragen lässt, treibt obenauf. Wer sich dagegen aufbäumt, geht unter."

Gertrud von Le Fort, Schriftstellerin

"Im Fußball über Alter zu sprechen ist sinnlos, es zählen die Leistung und die Fitness."

Österreichs Stürmer Ivica Vastic, mit 38 Jahren der Älteste im Turnier

"Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an."

Udo Jürgens, österreichischer Blödelbarde

Der Mensch neigt zum Status quo. Das gilt nicht nur für Anhänger eines plumpen Boogie-Rocks, der einer gleichnamigen Altherrencombo bis heute eine recht auskömmliche Existenz sichert. Das gilt auch für Fußballtrainer, vornehmlich für die von Nationalteams.

Das Handlungsmuster ist immer dasselbe. Eine Mannschaft gewinnt einen Titel, die Protagonisten des Marschs zur Meisterschaft werden zu nationalen Denkmälern. Und die sind bekanntlich nur schwer wieder zu stürzen.

Das mag beim Straßenbau ein umgehbares Problem sein, im Sport ist es fatal: Hier bedeutet Stillstand tatsächlich Rückschritt. Und die Erklärung ist denkbar simpel: Die Zeit mag, wie Mick Jagger singt, auf seiner Seite sein, aber sie ist definitiv nicht auf der von Fußballprofis. Auch Denkmäler, lebende zudem, werden älter.

Das beweist ein Blick in die Geschichte von Europa- und Weltmeisterschaften. Die Schlüsselspieler der dort erfolgreichen Teams haben so gut wie immer ein Alter zwischen 25 und 30 Jahren: Alt genug, um bereits Erfahrung auf höchstem Niveau gesammelt zu haben, aber auch jung genug, um das dort vorgegebene Tempo ein Wochen dauerndes Turnier mitgehen zu können.

Doch zwei Jahre später beim nächsten großen Turnier, erst recht vier Jahre später, wenn es darum geht, den Titel zu verteidigen, sind viele Mannschaften schon zu alt geworden. Die Denkmäler bröckeln, aber sie wollen nicht weichen. Das Diktat der Besitzstandswahrung, ein durch und durch menschlicher Zug, verhindert nach einem Titelgewinn meist den Umbau. Die Folge: Kein einziger Europameister hat seinen Titel bislang verteidigen können, und seit den Brasilianern von 1958 und 1962 ist das auch keiner Weltmeistermannschaft mehr gelungen.

In den letzten fünf Jahrzehnten hat nur eine Mannschaft, deren tragender Kern im Schnitt über 30 war, einen großen Titel gewonnen: Die deutschen Europameister von 1996 waren eigentlich zu alt. Allerdings waren neben Köpke (34), Klinsmann (31), Eilts (31) und Helmer (31) wenigstens Antreiber Sammer (28) und Bierhoff (28), der Mann für die Tore, in einem idealen Alter. Zwei Jahre später, bei der WM in den USA, waren Helmer und Eilts zwar zurückgetreten, aber ausgerechnet die zentrale Figur Sammer durch den damals schon 37-jährigen, in die Nationalmannschaft zurückgekehrten Matthäus ersetzt worden. Das Ergebnis ist bekannt: Wenig überzeugende Auftritte und ein 0:3 im Viertelfinale gegen Kroatien.

Ein Schicksal, das nun auch bei dieser EM die amtierenden Titelträger zu ereilen droht. Der Titelträger lief im ersten Spiel mit sieben amtierenden Europameistern auf, Rehhagels Startelf hatte, trotz einiger zurückgetretener Nationalhelden, ein Durchschnittsalter von 29,5 Jahren.

Nicht vielversprechender sieht es bei den Italienern aus. Deren Leistungsträger beim WM-Gewinn in Deutschland vor zwei Jahren sind nun über oder zumindest an die magische 30 herangerückt: Buffon (30), Zambrotta (31), Gattuso (30), Pirlo (29), Toni (31). Und selbst die Zwangsverjüngung der Squadra Azzurra, die Chiellini (23) einzuleiten versuchte, indem er Kapitän und Kopf Cannavaro im Training krankenhausreif trat, war nicht wirklich erfolgreich: Cannavaro (34) wurde durch Materazzi (34) ersetzt.

Aber hätte Roberto Donadoni, als er die Azzurri nach der WM 2006 übernahm, die Leistungsträger dieser Mannschaft aussortieren sollen? Wie hätte wohl die zur Hysterie neigende italienische Presse reagiert? Die den Fußball wie eine Religion verehrende Öffentlichkeit? Wer hätte Donadoni glauben sollen, dass die Helden von Berlin so schnell zu alt geworden waren?

Doch die Zahlen lügen nicht. Natürlich: Niemand wird zwangsläufig Europameister, nur weil er eine U-30-Auswahl aufbietet. Aber es ist eine, so sagt die Statistik, unabdingbare Voraussetzung: Diese Gesetzmäßigkeit zieht sich durch von den westdeutschen Siegern von 1972 (Beckenbauer, 26, Maier, 28, Müller, 26, Netzer, 27, Schwarzenbeck, 24, Heynckes, 27) und 1980 (Rummenigge, 24, Hrubesch, 29, Briegel, 24, Schumacher, 26, und einem unverschämt jungen Schuster, 20) über die Franzosen 1984 (Platini, 29, Battiston, 27, Tigana, 29, Bossis, 29, und ein allerdings schon 31-jähriger Giresse) und 2000 (Zidane, 28, Thuram, 28, Vieira, 24, Henry, 22), bis zu den Niederländern 1988 (Koeman, 26, Wouters, 28, Rijkaard, 25, Gullit, 25, van Basten, 23). Selbst die dänischen Urlaubs-Europameister von 1992 passen ins Schema (Schmeichel, 29, Povlsen, 25, Vilfort, 29, Laudrup, 23, Jensen, 27).

Wer wird also Europameister? Schwierig zu sagen. Die Zahlen verraten höchstens, wer zu reif ist, um infrage zu kommen für den Titel: nämlich Frankreich mit einem Trainer, der auf die alte Garde (Coupet, 35, Gallas, 30, Thuram, 36, Sagnol, 31, Henry, 30) setzt, aber das neue Blut entweder auf der falschen Seite einsetzt (Ribery, 25) oder nur auf öffentlichen Druck bringen mag (Benzema, 21).

Auch die Holländer sind wohl in einigen Schlüsselpositionen zu alt (van der Saar, 37, van Bronckhorst, 33, van Nistelrooy, 31), ebenso wie die Tschechen (Koller, 35, Galasek, 35, Ujfalusi, 30) und der selbsternannte Geheimfavorit Kroatien in der Defensive (Niko Kovac, 36, Robert Kovac, 34, Simunic, 30). Im idealen Alter dagegen die Spanier (Casillas, 27, Xavi, 26, Torres, 24, Villa, 26, Iniesta, 24, Fabregas, 21), mit Abstrichen die Portugiesen (Ronaldo, 23, Pepe, 25, Petit, 31, Deco, 30, Carvalho, 30, Nani, 21).

Und die deutsche Mannschaft? In der klafft ein Loch zwischen schon zu alten Spielern (Ballack, 31, Frings, 31, Klose, 30) und noch zu jungen (Lahm, 24, Mertesacker, 23, Podolski, 23, Gomez, 22). Aber zumindest statistisch gesehen ergibt das ja wieder einen ganz erfolgversprechenden Mittelwert. Und zur Siegesfeier lädt der DFB dann, aus rein retrospektiven Gründen natürlich, Udo Jürgens (73) ein.

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