Hartz IV: "Am Monatsende bleibt Frust"

Hartz IV macht arm. Auch geistig und sozial, sagt die arbeitslose Akademikerin Louise Hoffmann*. Fachliteratur und gesellige Abende mit Freunden kann sich die studierte Soziologin schon lange nicht mehr leisten

taz: Frau Hoffmann, wie lebt man von 347 Euro Hartz IV im Monat?

Louise Hoffmann: Die reichen nicht aus. Ich sehe zunächst zu, dass ich genug zu essen habe. Das heißt, ich kaufe Sonderangebote bei Discountern, um überhaupt existieren zu können.

Sie sparen also an gesundem Essen?

Ja, ich verzichte auf Obst und Gemüse. Das ist selbst bei Discountern noch teuer. Stattdessen gibt es Spaghetti mit Tomatensoße. Das ist wirklich nicht sonderlich prickelnd.

Was bleibt am Monatsende?

Frust. In der Regel ist das Geld am zwanzigsten des Monats aufgebraucht. Bestenfalls habe ich bis dahin genügend billige Lebensmittel eingekauft und tiefgefroren. Und gucke, dass ich eingeladen werde von Freunden.

Haben sich Ihre Freundschaften durch die Arbeitslosigkeit verändert?

Sie haben sich dramatisch verändert. Freunde einzuladen und mal für sie zu kochen, das geht wirklich nicht mehr. Ausgehen auch nicht. Also schlafen Freundschaften ein. Manche Bekannte gehen dann auch noch davon aus, dass ich mich nicht genug um Arbeit bemühe, obwohl ich mich bewerbe und bewerbe. Dass es so was wie strukturelle Arbeitslosigkeit gibt, wird gerne ausgeblendet.

Es gibt Angebote wie das Kulturticket, mit dem Erwerbslose ermäßigten Einlass bei Veranstaltungen bekommen. Nutzen Sie das?

Mit dem Kulturticket kann man nur in die Veranstaltungen, wenn es noch freie Plätze gibt. Karten zu reservieren ist nicht möglich. Freunde, die Geld verdienen, haben auf dieses Pokerspiel an der Abendkasse keine Lust. Also stehe ich am Ende - trotz Kulturticket - wieder allein da. Für mich ist die soziale Trennung zwischen Erwerbslosen und Arbeitenden das Hauptproblem.

Verkümmert Ihr Sozialleben?

Ich kämpfe dagegen und arbeite ehrenamtlich im Erwerbslosenausschuss von Ver.di. Es ist mir wichtig, dass ich Kontakte habe und irgendwie aus der Isolation rauskomme.

Sie bekommen seit drei Jahren Hartz IV. Konnten Sie 2006 davon besser leben als 2008?

Damals war es auch schon knapp, doch im Vergleich hat sich die Situation verschärft.

Worauf müssen Sie heute verzichten?

Was mir als Akademikerin besonders zusetzt: Ich kann mir das Lesen nicht mehr leisten. Eine Zeitung besorge ich mir einmal die Woche, und zwar am Wochenende, wenn die Stellenanzeigen drin sind. Bücher zu kaufen ist gar nicht mehr drin.

Sie leben also auch an so etwas wie dem geistigen Existenzminimum?

Ich verliere meine Qualifikation. An neueste Fachbücher komme ich nicht ran, weil sie noch nicht in der Bibliothek stehen. Und so fällt es noch schwerer, sich auf dem Arbeitsmarkt gegen Mitbewerber zu behaupten.

INTERVIEW: JOANNA ITZEK

*Louise Hoffmann (Name geändert), 56, ist Soziologin und lebt seit 2005 von Hartz IV

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