Das Ende der Diskretion

MIGRATION Homosexuelle werden nicht mehr mit der Aufforderung abgeschoben, in der Heimat ihre sexuelle Identität zu verstecken. Bleibt ein Problem: ihre Glaubwürdigkeit

108 Ugander haben Asyl wegen Homosexualität beantragt – zwei kamen durch

VON PAUL WRUSCH

Wenn sie mit ihren „Neigungen nicht auf offener Straße provozieren“ würde, könnte sie in ihrem Heimatland ein sicheres Dasein führen. Sie solle einfach auf „sexuelle Verfehlungen“ verzichten. So argumentierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) – und sah keinen Grund, weshalb die lesbische Iranerin Samira G. in Deutschland Asyl bekommen sollte. Es lehnte ihren Antrag ab.

Im Iran drohen lesbischen Frauen Peitschenhiebe und Tod durch Steinigung. Der Fall Samira G. machte im Frühjahr vergangenen Jahres Schlagzeilen. Die queere Community sammelte 2.000 Unterschriften, schickte einen offenen Brief an den Bundesinnenminister. Die Behörden lenkten ein und erteilten Samira G. eine befristete Aufenthaltsgenehmigung und ein Abschiebeverbot. Durch die mediale Öffentlichkeit sei ihr ein diskretes Leben im Iran nicht mehr möglich. Künftig soll dieser öffentliche Druck nicht mehr nötig sein.

Das BAMF hat eine Kehrtwende vollzogen: Nun soll es Ablehnungsbescheide mit dem Hinweis, die Antragsteller könnten auf die Auslebung ihrer Homosexualität im Heimatland verzichten, nicht mehr geben. Das schreibt das Amt in einem Brief an Volker Beck, menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag: „Einem Antragsteller ist es grundsätzlich nicht zumutbar, gefahrenträchtige Verhaltensweisen zu vermeiden, um einer Verfolgung auszuweichen, die ihm andernfalls, zum Beispiel wegen seiner sexuellen Ausrichtung, drohen würden.“ Das Amt bestätigt der taz, dass „kein Verweis auf gefahrvermeidendes, diskretes Verhalten“ mehr erfolgt. Die Behörde begründet den Sinneswandel mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom September 2012.

Demnach kann von Asylbewerbern, die in ihrem Heimatland einer religiösen Minderheit angehören und deshalb verfolgt werden, künftig nicht mehr verlangt werden, ihren Glauben in der Heimat im Stillen auszuleben. Diese Argumentation wurde auf die sexuelle Identität von Asylbewerbern übertragen. Volker Beck begrüßt es, dass das BAMF von seiner „menschenentwürdigenden Praxis“ abrückt. Es dürfe von niemandem verlangt werden, seinen politische Überzeugung, seinen Glauben oder seine sexuelle Identität zu verleugnen, um Verfolgung oder der Todesstrafe auszuweichen. „In Zukunft dürfen Schwule und Lesben nicht mehr in Länder abgeschoben werden, in denen Homosexualität unter Strafe steht.“ Auch der Berliner Rechtsanwalt Dirk Siegfried, der viele Fälle betreut, sieht Fortschritte. Es bleibe aber das Problem der angeblichen Unglaubwürdigkeit. „Dabei ist meine Erfahrung: wenn jemand aus den entsprechenden Ländern kommt und sagt ‚ich bin lesbisch‘ oder ‚ich bin schwul‘, dann stimmt das auch.“

„Oft erwarten die Betroffenen bei Anhörungen von ihrem Gegenüber, etwa den Dolmetschern, eine homophobe Grundhaltung und trauen sich nicht, über ihre sexuelle Identität zu sprechen“, sagt Anwältin Gisela Seidler, die Samira G. vertreten hat. Sie offenbarten sich oft erst, wenn sie selbst Deutsch sprechen. In den Augen vieler Sachbearbeiter und Richter sei dies ein Zeichen der Unglaubwürdigkeit. Die Betroffenen würden zudem oft gar nicht selbst gehört.

Genaue Zahlen zu Asylbewerbern, die Homosexualität als Grund für den Antrag angeben, gibt es nicht. Pro Asyl schätzt, dass es sich um wenige hundert Fälle im Jahr handelt. Aus dem Schreiben des BAMF geht hervor, dass in den vergangenen drei Jahren 108 Menschen aus Uganda Asyl beantragt haben, wobei „nahezu alle männlichen Antragsteller und auch ein deutlicher Anteil der Frauen“ Verfolgung aufgrund von Homosexualität angaben. Obwohl der Behörde bewusst ist, dass es für Homosexuelle in dem Land zu „schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen kommen kann“, wurden nur zwei Asylanträge bewilligt, das Gros wurde wegen mangelnder Glaubwürdigkeit zurückgewiesen.

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