spielplätze (14): in der kirche: Fußball als Sinnbild für Gemeinsinn

Alle gucken wieder Fußball. Die taz auch. Bis zum Ende der EM berichten wir täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Italien - Spanien in der Heilig-Kreuz-Gemeinde in Kreuzberg.

Es wurde nicht zu viel versprochen. "Auch bei Regen!", so wirbt die Evangelische Heilig-Kreuz-Gemeinde in Kreuzberg fürs gemeinsame Fernsehschauen in ihrem Kirchgarten. Und tatsächlich, als es während der Verlängerung zwischen Italien und Spanien zum Wolkenbruch kommt, versammeln sich die Verbliebenen unter einer Miniplane. In der Wetternot stehen sie alle dicht gedrängt direkt vor der Großleinwand beisammen - darunter auch ein Obdachloser. Ein Sinnbild für Gemeinsinn, das gewiss in einer der nächsten Predigten des hiesigen Pfarrers Verwendung finden wird.

Lange Zeit wurde der Fußball ja wegen seiner ersatzreligiösen Züge von den Kirchen verschmäht. Spätestens beim Wort "Fußballgott" stellten sich den Konfessionshütern die Haare zu Berge. Doch mit der WM 2006 haben die Protestanten eine Fußballoffensive gestartet und die Konkurrenz weit abgehängt. In den Internetsuchmaschinen wird selbst nach der Eingabe von "Katholische Kirche" und "EM" die Homepage der evangelischen Kirche als Erstes angezeigt. Allein in Berlin bieten 31 Gemeinden Public Viewing an.

Das asketische Fußballpartykonzept der Heilig-Kreuz-Gemeinde "Feiern ohne Alkohol" geht am Sonntag nicht so recht auf. Nur ein gesichtsbemalter Italienfan zeigt in der ersten Halbzeit hin und wieder Emotionen. Als der TV-Kommentator die Mutmaßung anstellt, dass der Italiener Luca Toni sich erst wieder nach einem Torerfolg rasieren wird, wendet er passend zu seinem Umfeld ein: "Dann sieht er ja bald aus wie Moses." Doch keiner reagiert. In der Pause wandert der Außenseiter ab. Das unterdessen laufende "Heute-Journal" wird vom Kirchgartenpublikum mit der gleichen stoischen Leidenschaftslosigkeit verfolgt wie das Spiel. Kaum einer der 60 Zuschauer steht auf, um etwas vom Gegrillten oder dem selbstgebackenen Kuchen zu konsumieren. Die Versammlung unter den Eichenbäumen wirkt wie eine freudlose Pflichtveranstaltung. Typisch protestantisch? Nicht unbedingt. Womöglich sind die Spanier und Italiener die wahren Stimmungstöter. Ihr chancenarmes Gekicke ist nämlich wahres Puritanertum.

Nach einer Stunde wird hinter dem neugotischen Kirchenbau zum ersten Mal applaudiert. Italien hat erstmals gefährlich aufs spanische Tor geschossen. Als nach 90 Minuten feststeht, dass es eine Verlängerung geben wird, stöhnt auch die evangelische Fernsehgemeinde auf. Das hat sich hier keiner gewünscht.

So manche Klischeevorstellung, die den Protestanten anhaftet, kann man am Blücherplatz wieder finden. Auch die geblümten Blusen und bestrumpften Männerfüße in Birkenstocksandalen fehlen nicht. Aber es ist kein Pfarrer unterwegs, der das Gespräch sucht. Und es sind auch keine Kirchenältesten beauftragt worden, die Besucher für den nächsten Gottesdienst einzuladen. Wer hierher kommt, wird in Ruhe gelassen. Ein Clochard löffelt im Hintergrund seine 1-Liter-Eisbox aus. Ab und zu gesellen sich auch Straßenpassanten dazu. Aber es bleibt immer bei dieser ungewöhnlichen Stille. Es werden auch keine blöden Sprüche in die Runde geworfen. Nicht einmal diejenigen des Fernsehkommentators werden kommentiert. Ganz am Schluss, als die Spanier das Spiel im dramatischen Elfmeterschießen für sich entscheiden, wird dann zum zweiten und letzten Mal geklatscht. Und einer ruft sogar: Olé!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.