Kolumne Speckgürtel: Neapolitanische Verhältnisse

Waschbären sind wie Berlusconi. Erst übersieht man sie, dann übernehmen sie die Macht im Vorort.

Dass wir Mäuse haben, weiß ich erst, seit wir Katzen haben. Es ist nun mal so: Im naturnahen Raum kommen sie - und anderes Getier, von dem hier später noch die Rede sein wird - vor. Das ist quasi der Preis für brutalstmögliche Spießigkeit im suburbanen Bereich.

Ich erinnere mich gut an die ungläubigen Blicke, die unsere beiden Nachbarn miteinander wechselten, als ich ihnen unter Schaudern berichtete, in unserer stillen Anliegerstraße eine Ratte gesichtet zu haben. Gut, wir waren halt neu zugezogen in den Speckgürtel, wir konnten nicht wissen, dass es sich um eine Wasserratte handelte, die hier quasi zum Inventar gehört. Und tatsächlich, inzwischen grüßen Frau Rättin und ich einander, ich bremse auch gern kurz ab, wenn sie den Uferstreifen zum See passiert. Und Gott sei Dank scheint sie der Singlegeneration anzugehören - ein Herr Ratte ist mir jedenfalls noch nicht begegnet.

Früher, als wir noch im großstädtischen Ausgehbezirk lebten, verhielt sich die Sache anders. In unserem Wohnhaus, einem stattlichen Altbau mit zwei Hinterhöfen, standen gleich vorn die Müllkübel. Dort trafen Frau Rättins Verwandtschaft und ich öfter mal aufeinander: Es huschte, wenn ich nachts das schwere Hoftor aufschloss. Einmal stand ich auch mitten am Tage im Treppenhaus einer sehr abgenervten Ratte gegenüber, die hastig aus der Mülltüte schlüpfte, die ich zwei Tage zuvor vor meine Wohnungstür gestellt hatte. Zischend trollte sie sich eine Etage höher.

Heute stoße ich in meinem Garten auf kinderfaustgroße Löcher, die etwas Kreatürliches in die Erde gebohrt haben muss. Nicht auszudenken, was sich dort unten abspielen mag. Die Nachbarn erklären, das seien Wühlmäuse, Gärtners Feind. Und tatsächlich, mein ohnehin nicht gut gepflegter Rasen sieht dadurch noch räudiger aus.

Als Zeichen ihrer Loyalität bringen die Katzen immer mal wieder allerlei kleine Geschenke vorbei. Tote Vögel und Frösche, einmal sogar einen Maulwurf, der in seiner grauen Reglosigkeit ausschaute wie ein kleiner aparter Designertopflappen. Vor allem aber: verwundete Mäuse, verspielte Mäuse, die kurz davor stehen, die Regeln zu begreifen. Zerlegte Mäuse, erbrochene Mäuse und Mäuseköpfe. Das Grauen!

Neuerdings aber ist Schluss mit solch lächerlichen Scharmützeln. Denn etwas Größeres ist in unser Leben getreten. Vorgestern Nacht bin ich den neuen Katzen-Widersachern begegnet: Waschbären. Ziemlich groß, ziemlich pelzig und offenbar gut beisammen. Immerhin hatten sie die halbvolle Mülltonne umgekippt und fraßen unseren Abfall. Am Tag zuvor hatte ich dort zwei völlig zerspielte Mäusekadaver entsorgt.

Beim Anblick der naschhaften Waschbären fiel mir die Urlaubsschilderung einer netten Kollegin ein, die die berühmte italienische Stadt Neapel besucht hat. Nein, sie habe erst mal nichts von dem Müll entdecken können, von dem die Bilder um die Welt gegangen waren - und von dem man mit Fug behaupten kann, dass seine fortwährende Präsenz Silvio Berlusconi sogar die Stimmen der Süditaliener gesichert hat. Erst als sie sich auf der Rückfahrt zum Flughafen heillos verfahren habe, sei sie zwischen meterhohe Dreckberge geraten. Das sei - bemerkte sie unter Anspielung auf mein Leben in der Provinz - wie mit den Neonazis. Die sehe man auch nicht, wenn man durch Brandenburg fahre. Erst wenn man abends nach dem Ausflug in der Dorfkneipe noch ein Bier trinken gehe, tauche garantiert eine komplette Kameradschaft auf.

Was heißt das jetzt für uns? Herrschen auch in unserer Anliegerstraße demnächst neapolitanische Verhältnisse? Oder wird unser Häuschen ein NPD-Schulungszentrum? Haben wir die Augen verschlossen vor unhaltbaren Zuständen? Hätten wir doch bei Ebay die Selbstschussanlage ersteigern sollen, als zum ersten Mal der Komposter durchwühlt war? Werden bald die Waschbären in unseren Betten schlafen, vor denen als Vorleger die Skalps unserer Katzen liegen? Noch lachen wir. Vorsichtshalber habe ich die Katzen zur Nacht ins Haus gerufen.

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