Montagsinterview: "Angst muss man begegnen"

Erstmals ist ein gebürtiger Libanese in den neuen Bundesländern Polizeichef. Youssef El-Saghir (34) steht in Eberswalde 120 Beamten vor. Neben Alltagskriminalität hat für die Polizei die Bekämpfung von Rechtsextremismus oberste Priorität.

Youssef El-Saghir vor der Gedenktafel für Amadeu Antonio in Eberswalde Bild: Andrea Vollmer

YOUSSEF EL-SAGHIR wird 1974 im Libanon geboren. Als er zwei Jahre alt ist, emigrieren sein Vater und seine Mutter mit ihm nach Deutschland. Bis er neun Jahre alt ist, lebt die Familie in Berlin, genauer gesagt in Nordneukölln. 1983 kehren die El-Saghirs nach Beirut zurück. 1989, als der Krieg wieder ausbricht - Youssef ist jetzt 15 -, flüchtet die Familie erneut nach Berlin. Dort macht Youssef El-Saghir Abitur und erlangt 1992 die deutsche Staatsbürgerschaft.

An der Freien Universität Berlin studiert er Betriebswirtschaftslehre und bewirbt sich 2004 als Seiteneinsteiger erfolgreich bei der Brandenburger Polizei um ein Studium zur Aufnahme in den höheren Polizeivollzugsdienst. Im Oktober 2007 wird er Polizeichef von Eberswalde und dem Landkreis Oberbarnim. Ihm unterstehen 120 Polizisten. Die Mitarbeiter seiner Wache sind für 70.000 Einwohner zuständig.

Der gebürtige Libanese ist mit einer gebürtigen Türkin verheiratet. Der zweijährige Sohn wächst dreisprachig auf. Zu Hause wird Deutsch gesprochen - bei Oma und Opa mütterlicherseits Türkisch, bei den Großeltern väterlicherseits Arabisch. El-Saghirs Hobbys sind Sport,

vor allem Joggen, und Lesen. Für Letzteres hat er vor allem in der Regionalbahn Zeit, weil er täglich von Berlin nach Eberswalde pendelt. Momentan liest er "Kampf dem Terror - Kampf dem Islam" von Peter Scholl-Latour.

taz: Herr El-Saghir, was sagt Ihnen der Name Amadeu Antonio?

Youssef El-Saghir: Amadeu Antonio war der Angolaner, der hier in Eberswalde kurz nach der Wende durch rechtsradikale Schläger zu Tode kam. Es war das erste Mal, dass ein Mensch in den neuen Bundesländern durch Fremdenhass starb. Der Vorfall hat den Ruf der Stadt sehr geprägt.

Seither hat Eberswalde ein braunes Image. Dort sind Sie, ein gebürtiger Libanese, Polizeichef. Haben Sie geschluckt, als man Ihnen den Posten anbot?

Überhaupt nicht. Dass es hier Rechtsextremisten gibt, ist nicht von der Hand zu weisen. Nicht umsonst ist die Bekämpfung des Rechtsextremismus ein Schwerpunkt unserer polizeilichen Arbeit. Ausgelöst durch den Tod von Amadeu Antonio, gibt es in Eberswalde aber auch ein großes zivilgesellschaftliches Engagement. Ganz viele Bürger und Initiativen setzen sich gegen Rechtsextremismus ein. Sie wehren sich - wie ich finde zu Recht - gegen das Image, die Stadt sei braun.

Als Wachenleiter von Eberswalde und Oberbarnim unterstehen Ihnen 120 Beamte. Im Oktober 2007, als Sie den Job antraten, wurde gemunkelt: Da kommt einer aus dem arabischen Raum.

Das ist eine natürliche Reaktion. Verwunderlich wäre gewesen, wenn es alle ganz normal gefunden hätten, dass ein gebürtiger Libanese Polizeichef wird. Die erste Begegnung mit meinen Mitarbeitern war dementsprechend vorsichtig. Aber das Eis war bald geschmolzen. Schnell waren wir uns einig: Wir praktizieren hier das offene Wort. Die Kollegen haben gemerkt, dass ich ein sehr umgänglicher Mensch bin, kurzum ein Vorgesetzter wie jeder andere auch.

Sind Ihnen von Kollegen je fremdenfeindliche Äußerungen zu Ohren gekommen?

Nein. Nie.

Vielleicht geschieht es hinter Ihrem Rücken?

Das möchte ich eigentlich ausschließen. Wenn sich jemand über mich das Maul zerrissen hätte, wäre es irgendwann durchgesickert. So gut kann sich keiner verstellen.

Es heißt immer, die Polizei sei ein Spiegelbild der Gesellschaft. Und Fremdenfeindlichkeit ist in Brandenburg ein großes Problem.

Ich bin seit vier Jahren bei der Brandenburger Polizei. Nie habe ich etwas dergleichen erlebt.

Das ist kaum zu glauben.

Es ist nicht meine Intention, etwas zu beschönigen. Das ist tatsächlich meine Beobachtung.

Wie reagieren Skinheads bei Polizeieinsätzen auf Ihre Person?

Sie haben das ein oder andere Mal zu mir rübergeguckt. Ansonsten habe ich keine spezielle Reaktion festgestellt. Ich hätte das registriert, weil mich die Frage auch interessiert. Übergriffe auf Polizeibeamte haben generell zugenommen. Das betrifft aber nicht nur die rechte Szene und nicht nur Brandenburg. Das ist ein bundesweiter Trend.

Und wie reagieren normale Bürger auf Sie?

Ganz entspannt. Ich bin oft allein in Eberswalde unterwegs, weil ich fast jeden Tag mit der Bahn anreise. Ich wohne in Berlin-Rudow und pendele.

Liegt es an der Polizeiuniform, dass die Leute so positiv reagieren?

Bestimmt nicht nur. Zu Beginn meiner Tätigkeit habe ich die Stadt ohne Uniform erkundet. Ich bin zu Fuß durch die Vororte gelaufen, habe mich ins Café gesetzt und auch in Seitenstraßen getraut, die als Problemzonen bekannt sind. Ich hatte nie das Gefühl, dass man sich da als Bürger mit Migrationshintergrund besser nicht hinwagt.

Vielleicht fühlt sich ein Polizist von vornherein sicherer.

Das glaube ich nicht. Ich war und bin wirklich viel in Eberswalde unterwegs. Ich habe in der Stadt Schwarzafrikaner gesehen und zweimal auch Frauen mit Kopftuch - sie machten alle nicht den Eindruck, als ob sie Angst hätten. Es hat sich auch niemand nach ihnen umgeschaut.

Warum wohnen Sie noch in Berlin?

Das hat familiäre Gründe. Meine Frau ist auch berufstätig; sie arbeitet als Reiseverkehrsfrau. Meine Schwiegereltern passen auf unseren zweijährigen Sohn auf. Sie wohnen auch in Rudow.

Wie lange leben Sie schon dort?

Wenige Jahre. Geboren wurde ich im Libanon. Ich war zwei Jahre alt, als meine Eltern nach Deutschland ausgewandert sind. Groß geworden bin ich in Nordneukölln - einer in Anführungszeichen ganz gefährlichen Ecke.

Sind Sie dort auf die Rütli-Schule gegangen?

Nein, ich war auf der Richard-Grundschule. Auf dem Ernst-Abbé-Gymnasium in der Sonnenallee habe ich mein Abitur gemacht.

Wie groß war der Migrantenanteil in Ihrer Grundschulklasse?

Nicht so hoch wie heute. Von 25 Kindern kamen fünf oder sechs aus der Türkei und dem früheren Jugoslawien. Ich war der Einzige aus dem Libanon.

Viele Migrantenkids aus Nordneukölln hängen auf der Straße rum. Manche werden auch kriminell. Was ist bei Ihnen anders gelaufen?

Sprache und Bildung sind unbedingte Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Meine Eltern waren von Anfang an darauf bedacht, Deutsch zu lernen. Als sie 1976 nach Berlin kamen, haben sie sofort einen Intensivkurs im Goethe-Institut belegt. Dadurch hatten sie später viel bessere Möglichkeiten, Arbeit zu finden.

Was sind Ihre Eltern von Beruf?

Mein Vater war Filmentwickler. Meine Mutter hat im Krankenhaus gearbeitet. Jetzt sind sie im Ruhestand. Beide hatten nur den einfachen Schulabschluss, haben weder studiert noch eine richtige Ausbildung gemacht.

Sie haben zwei Schwestern. In welcher Sprache wurde zu Hause geredet?

Eigentlich haben wir nur Arabisch gesprochen. Nach dem Kurs hat mein Vater ein Weile versucht, nur Deutsch mit uns zu sprechen, aber da haben wir Kinder nicht mitgemacht.

Als Sie neun Jahre alt waren, ist Ihre Familie in den Libanon zurückgekehrt.

Meinen Vater hat es zurückgezogen. Damals herrschte im Libanon Ruhe. Er hat dort als Gemüsegroßhändler gearbeitet und viel Geld verdient. Es gab keine Diskussion, dass wir zurückgehen.

Wie fanden Sie das?

Schrecklich. Ich wollte nicht von meinen Freunden weg und hatte im Libanon anfangs furchtbar zu kämpfen. Die Kultur und viele Begriffe waren mir fremd. Wir hatten zu Hause nur umgangssprachliches Arabisch gesprochen. Ich konnte auch nicht Arabisch lesen und schreiben. Ich habe in Beirut die deutsche Schule besucht. Dort konnte ich zwar an meine Ausbildung anknüpfen, hatte aber nur Kontakt zu Kindern mit deutschem Hintergrund. Zum Glück habe ich bald libanesische Kinder in unserem Viertel kennengelernt.

Sechs Jahre später - Sie waren 15 - kam der nächste Bruch.

Im Libanon brach wieder Krieg aus. Unruhen hatte es immer mal wieder gegeben. Aber Ende 1989 ging gar nichts mehr. Ich habe damals die 9. Klasse besucht und bin sechs Monate nicht zur Schule gegangen. Da hat mein Vater gesagt: Hört zu, wir packen ein und fahren zurück.

Wie sind Sie bei der Polizei gelandet?

Mit dem Gedanken hatte ich schon während der Schulzeit gespielt. In meiner Klasse auf dem Abbé-Gymnasium war das ein Trend. Viele meiner Mitschüler sind heute bei der Berliner Polizei. Die besondere Herausforderung und Belastung des Berufs haben mich gereizt. Das mag sich seltsam anhören, aber sonst würde ich einschlafen. Nach dem Abi habe ich aber erst mal BWL studiert.

Warum Betriebswirtschaftslehre?

Als Diplomkaufmann kann man fast überall einsteigen. Und so war es. Die Brandenburger Polizei hat für den höheren Polizeivollzugsdienst explizit Diplomkaufleute als Seiteneinsteiger gesucht. 2004 wurde ich zusammen mit drei anderen Bewerbern eingestellt.

Hatten Sie keine Bedenken, nach Brandenburg zu gehen?

Überhaupt nicht. Schon als Schüler hatte ich die neuen Bundesländer mit einem Freund erkundet. Während des Studiums habe ich dort gejobbt. Meine Bekannten waren immer überrascht, wo ich überall war und wo ich übernachtet habe. Nie habe ich auch nur einen Hauch von Fremdenfeindlichkeit verspürt. Im Gegenteil: Ich habe die nettesten Menschen kennengelernt.

Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein.

Mit Sicherheit haben andere auch andere Erfahrungen gemacht. Die werden sich fragen: Was erzählt der eigentlich? Ich würde auch anders reden, wenn ich aufgrund meiner Hautfarbe etwas anderes erlebt hätte. Aber das ist nun mal nicht der Fall.

Was würden Sie einem Berliner Türken raten, der Angst hat, nach Brandenburg zu fahren?

Fassen Sie Mut. Suchen Sie sich ein Ziel aus - zum Bespiel den Eberswalder Zoo - und fahren Sie raus. Nehmen Sie die Regionalbahn, da können die Kinder schön aus dem Fenster gucken. Und schon ist eine Hemmschwelle überwunden. Angst kann man nur abbauen, indem man ihr begegnet.

Sie sind ein Paradebeispiel für gelungene Integration. Wie erklären Sie sich das?

Als Einwandererkind wächst man in zwei Wertesystemen auf, die verschiedener nicht sein können. Man sollte seine Wurzeln nie leugnen. Das darf aber nicht dazu führen, dass man sich abkapselt. Man sollte es vielmehr als Chance begreifen.

Worauf wollen Sie hinaus?

Ich komme aus dem Libanon. Das ist ein tolles Land. Ich habe dort Freunde und Verwandte. Aber Deutschland ist meine Heimat. Diese Entscheidung muss man irgendwann treffen. Ich glaube, mein Vater würde nie sagen, Deutschland ist meine Heimat. Dafür war er viel zu alt, als er herkam. Uns, seinen Kindern, hat er aber immer das Gefühl vermittelt, das ist euer zu Hause.

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