die wahrheit: Die ärmste Sau im Rennstall
Benzinwut und Parkplatzsorgen: Deutschlands Autofahrer müssen jetzt ganz stark sein.
Neulich hat sich in Berlin jemand ins Bein geschossen, um endlich einen eigenen Behindertenparkplatz vor seiner Haustür zu bekommen. Das ist selbstverständlich viel verantwortungsbewusster und effizienter, als denjenigen zu erschießen, der einem immer den letzten Parkplatz weggeschnappt hat. Folgt auf jeden toten doch sogleich ein anderer, neuer Parkplatzwegnehmer.
Mittlerweile prügelt man sich unter Arbeitskollegen nicht mehr um die Urlaubstermine mit den meisten Brückentagen, sondern um das Gleitzeitviertelstündchen am späten Nachmittag, das der Suche nach einem nächtlichen Standort für den PKW eine reelle Erfolgsaussicht beschert. Rasen statt Blasen, das "Monatsmagazin für Motorsport und Alkohol" konstatiert in seiner Juli-Ausgabe nicht ohne bitteren Unterton: "Der motorisierte Deutsche durchlebt im Jahr 2008 die schwerste Sinnkrise, seit Blaupunkt den Subwoofer mit der glatt vernieteten Doppelmembran zurückrufen musste." Das war 1996, und jener Subwoofer verursachte nicht nur entspannte 240 Dezibel, sondern hatte eine hundertprozentige Tinnitus-Garantie, weshalb die AOK Niedersachsen Blaupunkt verklagte und obsiegte.
Ganz nebenbei sind auch die Preise für Stellplätze explodiert. Wer in den Neunzigerjahren systematisch in Garagen investiert hätte, anstatt der Verlockung der schneeweißen Immobilie in Miami zu erliegen, der könnte mit seinem Gewinn heute halb Florida kaufen. Aber der Investor ist ein Herdentier, ein Lemming, um genau zu sein. Der greift nicht in das fallende Messer, er springt ihm hinterher. Also muss man sich selbst verstümmeln, um den Gefährten Gefährt sicher abzustellen, oder eine muffige Garage mieten, die zweimal im Monat aufgebrochen wird und einen gefühlten Tagesmarsch weit weg liegt.
Eine reiche Hochzeit ist auch noch eine Möglichkeit. "Leider viel zu früh verwitwete Endvierzigerin mit Reitpferd, Bechstein-Flügel und einem Garagenstellplatz möchte gerne einen Neuanfang wagen." So etwas liest man des öfteren in der Zeit, auch seriöse Partnervermittlungen bezeichnen den Garagenstellplatz mittlerweile als wichtigstes Merkmal auf dem Heiratsmarkt.
Die Parkplatzknappheit ist nur die eine Hand, die sich wie eine eiserne Klaue an den Hals des deutschen Automobilisten gelegt hat. Ein Gespenst geht um in Europa, und es heißt Stagflation - diese Kombination aus Parkplatzknappheit und hohem Benzinpreis, der Alptraum ist Wirklichkeit geworden.
Das schöne Gefühl, einfach mal so, aus einer Laune heraus von der Etsch bis an den Belt zu brettern, wie es Magic Hoffmann von Hallervorden in seinem berühmten Gedicht einmal beschrieb, es lebt nur noch in der Erinnerung und mündlichen Tradierung der allmählich vergreisenden Automobilclubs fort.
Wer gelegentlich ziellos durch die Essig-und-Öl-Abteilung des Berliner KaDeWe schlendert, in der Hoffnung, dort eine reiche Witwe mit Bechstein-Flügel und Garagenstellplatz zu finden, der wird wissen, dass man an diesem Ort 10 ml Öl von der Nebenniere des Maulwurfs für 700 Euro bekommt. Bald werden dort auch Fläschchen mit Öl der Sorte Brent stehen - hinter Panzerglas, weil die Beschaffungskriminalität ungeheuerliche Züge annehmen wird. Dann werden Porschefahrer schon mal einen Monatslohn investieren, um sich das virile Gurgeln eines anspringenden Boxer-Motors zu gönnen. Und für ein Barrel Öl kann man bald schon die andere Hälfte von Florida kaufen.
Ob die Welt ein besserer Ort wäre, wenn es weniger oder gar keine Autofahrer auf Deutschlands Straßen, in Deutschlands Einfahrten und auf Deutschlands Fahrradwegen gäbe? Vermutlich schon. Wer weiß, wie es ist, wenn jemand bis früh um drei mit einem kaputten Auspufftopf nach einem Parkplatz sucht oder das für diesen Auspufftopf am Samstagvormittag erforderliche Feintuning vornimmt, der wird spontan für eine starke Reduzierung des Pkw-Verkehrs plädieren.
Die Menschen hinter den Lenkrädern verschwinden allerdings nicht, sie satteln lediglich um. Vor allem wenn sie Fahrrad fahren, bricht sich die so grausam befriedete Abonnentenseele von Rasen statt Blasen Bahn, und sie rasen ohne Verluste. Ihr Auto kann man ihnen nehmen, nicht aber das Recht auf eingebaute Vorfahrt. Ob Kinderwagen, ob Rentnerin, ob Krüppel, ob Endvierzigerin, die gerade ihr Pferd aus der Garage holt, um in die Klavierstunde zu reiten: Wer bei drei nicht auf dem Baum oder auf der Straße ist - dieser Typ Radfahrer bevorzugt den Bürgersteig -, wird gnadenlos weggeklingelt und niedergebrettert. Manche Radraser werden nie begreifen, dass der gemeine Passant keinen Rückspiegel hat, in den er angstvoll spähen kann. Wem die Kniekehle schon einmal von einem Schutzblech aufgeschlitzt wurde, der hat zwar Anspruch auf einen Behindertenparkplatz. Diese Gunst des Schicksals kommt für die meisten dann jedoch einfach zu spät.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!