Ganz lange Berliner Tafel: Spaghetti für Generationen
Alte und Junge sprechen zu wenig miteinander, findet Isabella Mamatis. Deshalb organisiert die Schauspielerin ein Essen für Schüler und Senioren auf Kreuzbergs und Neuköllns Straßen.
Mussten alle Männer in den Krieg? Was war in den Carepaketen bei der Luftbrücke? Warum wurde die Antibabypille erfunden? Das sind einige der Fragen, die Kreuzberger und Neuköllner Schüler alten Menschen in ihrer Nachbarschaft stellten. Die vielen Geschichten über vergangenes gelebtes Leben, die während des fünfmonatigen Projekts ans Tageslicht kamen, haben die 12- bis 15-jährigen Jugendlichen aufgeschrieben und damit eine subjektive Chronik Berliner Lokalgeschichte erstellt.
Am Samstag um 12 Uhr werden sich die Gesprächspartner wiedersehen - zum Spaghettiessen an drei jeweils 200 Meter langen Tafeln im Freien, die sich über die Bergmannstraße, das Planufer und das Maybachufer erstrecken werden. Auch die Bezirksbürgermeister sollen kommen und die zu Büchern gebundenen Texte entgegennehmen, um sie später in die jeweiligen Stadtteilmuseen zu überführen. Mitessen kann jeder, der Teller, Besteck und Becher mitbringt. Insgesamt 1.500 Gäste haben an den Tafeln Platz.
"Es ist eine Krankheit unserer Gesellschaft, dass sich keiner mehr für die Alten interessiert", findet Isabella Mamatis, die Initiatorin der "Langen Tafel", die als Verein organisiert ist. Die Schauspielerin begreift den Erfahrungsschatz der älteren Generationen als Ressource, die von den Jüngeren genutzt werden sollte. Das erste gemeinschaftliche Spaghettiessen organisierte sie vor zwei Jahren nur im Bergmannkiez.
Für die zehn Schulklassen, die mitmachen, laufen die Vorbereitungen seit Anfang März. Die Schüler besuchten Altenheime im Kiez und luden die Senioren zu Kaffee und Kuchen in ihre Schulen ein. "Zuhören können" sei der Schlüssel zur Integration, sagt Mamatis. Katja Busch, Lehrerin an der Albert-Schweitzer-Schule in Neukölln, bestätigt das. Ihre siebte Klasse wirkt an der "Langen Tafel" mit. "Die Treffen mit den alten Leuten haben selbst bei unaufmerksamen Schülern starken Eindruck hinterlassen", erzählt sie. Allerdings sei zu wenig Zeit gewesen, die geschichtlichen Fakten aufzuarbeiten. Mauerbau, Luftbrücke und Krieg - das hätten einige Schüler durcheinandergeschmissen oder für dasselbe gehalten.
Doch Mamatis, die Schauspiel an der Universität der Künste studiert hat, sieht die "Lange Tafel" sowieso nicht nur als soziale Initiative, sondern auch als ein Kunstwerk im öffentlichen Raum. "Das gemeinsame Essen ist wie eine Theaterinszenierung, die Straße stellt den Bühnenraum dar", erklärt sie. Sie erkennt in dem Projekt Anklänge an die Performance-Kunst des Fluxus in den 60er-Jahren, aber auch an die Massenszenen in Fellinis Film "La Dolce Vita".
Mit dieser Ebene können die Schüler sich weniger identifizieren. "Als Schauspielerin fühle ich mich nicht", sagt eine türkische Schülerin bei einer Doppelstunde mit Isabella Mamatis. Die Siebtklässlerin war gerade zur Schülervertretung auf der Pressekonferenz zur "Langen Tafel" gewählt worden. "Mal im Mittelpunkt zu stehen" gefällt vielen Schülern aus der Klasse.
Und wenn es am Samstag regnet? Dafür hat Isabella Mamatis bereits einen Plan: Ein Essensgast, der einen Schirm dabei habe, könne seinen Nachbarn einfach mit drunter lassen, erklärt sie der Klasse per selbst gemaltes Tafelbild. "Und alle finden hierFreunde", ergänzt ein dunkelhäutiges Mädchen in der letzten Reihe. Was für eine schöne Vorstellung.
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