Kommentar Merkel in Algerien: Demokratie - vielleicht später

Angela Merkel will mit ihrem Besuch in Algerien Geschäfte sichern. Dass das Land von Demokratie weit entfernt ist, stört angesichts lukrativer Auftragsbücher nicht weiter.

Je größer der Kuchen, umso freundlicher die Gäste. So kann das Resümee des ersten Besuches von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Algerien lauten. Algerien wird derzeit so umworben wie nie zuvor. Denn das Land verfügt über Öl- und Gasvorkommen, und dank der hohen Gas- und Ölpreise sind die Kassen gefüllt, folglich die zu vergebenden Projekte lukrativ. Es geht um Infrastruktur, Industrie, Städtebau und den Energiesektor. Deutschland hat hier einiges zu bieten. Wie bereits in den 70er-Jahren, als ganze Fabriken von der westdeutschen Industrie an das politisch damals eher der DDR zugetane Algerien geliefert wurden, ist die Bundesrepublik heute wieder ein begehrter Ansprechpartner in Sachen Technologie.

Die Investitionen sollen die soziale Lage in Algerien verbessern, heißt es. Dieses sind bekannte Absichtserklärungen, die bislang noch nie eingelöst wurden. Denn das Problem ist nicht nur die fehlende Arbeit, es sind auch die niedrigen Löhne und die mangelnden Rechte der Beschäftigten und der Bürger im Allgemeinen. Deshalb werden viele der bereits begonnenen Städtebauprojekte nicht etwa von algerischen Arbeitern hochgezogen, sondern von chinesischen, die dafür eigens eingeflogen werden. Daher wünschen sich die Jugendlichen auch weiterhin, das Land Richtung Europa zu verlassen. Denn Folter und Repression sind in Algerien nach wie vor an der Tagesordnung. Und wenn es fast wöchentlich irgendwo zu sozialen Unruhen kommt, schlägt die Polizei ohne Erbarmen zu.

Die politische Klasse hat sich zwar ein modernes Mäntelchen umgehängt. Doch es sind die gleichen Kräfte aus dem ehemaligen Einheitsapparat und der Armee, die bis heute alles kontrollieren. Sie lassen sich von niemandem auf die Finger schauen.

Angesichts der Auftragsbücher aber vergessen die Besucher in Algier lieber, dass Algerien weit davon entfernt ist, sich zu demokratisieren. Merkel ist da nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Darüber können auch ein paar kritische Erklärungen zum Thema Frauenrechte nicht hinwegtäuschen. Wer falsche Töne einschlägt, riskiert, den Kuchenteller entzogen zu bekommen. Merkel und ihre Kollegen in der EU wissen und akzeptieren dies.

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Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.

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