Das Härtepaket

Die Abmachungen von Union und SPD spüren alle. Kein Grund zu Freude für die meisten

Was im Koalitionsvertrag steht, ist noch lange nicht Gesetz. Erst mal müssen die Parteitage von CDU, CSU und SPD den Vertrag abnicken. Dann müssen die Rechtsakte ausgestaltet und in den Bundestag eingebracht werden, aus dem bekanntlich kein Gesetz so herauskommt, wie es hineingekommen ist. Vielen Gesetzen muss der Bundesrat zustimmen, die Föderalismusreform benötigt sogar eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat – hier muss also die FDP mitmachen. In diesem langen Prozess werden Lobbygruppen ansetzen – ihre Arbeit hat mit dem Vorliegen des 190 Seiten starken Vertragswerks so richtig begonnen. Angesichts des Milliarden-Lochs im Bundeshaushalt kann man vor allem mit Vorhaben rechnen, die Geld in die Staatskasse bringen.

Was ganz bestimmt kommt:

Mehrwertsteuer: Die Mehrwertsteuer wird erhöht – ab 2007 müssen Kunden auf die meisten Waren und Dienstleistungen nicht mehr 16, sondern 19 Prozent Mehrwertsteuer zahlen. Die Frage ist nur, wie schnell und in welchen Umfang Händler und Handwerker die drei Prozent auf die Preise draufschlagen.

Reichensteuer: Wer ein Jahreseinkommen von 250.000 Euro oder mehr hat, muss ab 2007 45 Prozent Einkommensteuer zahlen – drei Prozent mehr als bisher. Für Verheiratete gilt der Zuschlag ab 500.000 Euro.

Zuschläge: Bisher waren Zuschläge für Schichten an Sonntagen, Feiertagen und in der Nacht bis 50 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei. Sozialversicherungsbeiträge müssen jetzt schon ab 25 Euro Stundenlohn bezahlt werden, bei der Steuer bleibt die 50-Euro-Grenze.

Pendlerpauschale: Bisher können Arbeitnehmer für ihren Weg ins Büro oder in die Fabrik eine Entfernungspauschale geltend machen. Für die ersten 20 Kilometer kriegt man künftig nichts mehr. Ab dem 21. Kilometer werden 30 Cent pro Kilometer veranschlagt.

Eigenheimzulage: Sie fällt schon für alle Immobilienkäufe und Bauverträge weg, die nach dem 1. Januar nächsten Jahres abgeschlossen werden. Die bisher Geförderten kriegen ihr Geld weiter, erst 2014 läuft die Förderung aus.

Kindergeld: Bisher konnten Eltern bis zum 27. Lebensjahr eines Kindes in Ausbildung 154 Euro im Monat bekommen. Ab 2007 nur noch bis zum 25.

Abfindungen: Abfindungen werden ab 2006 voll besteuert. Bis 7.200 Euro waren sie bisher steuerfrei.

Sparerfreibetrag: Bisher waren pro Jahr 1.370 Euro Zinsen aus Erspartem steuerfrei, ab 2007 sind es nur noch 750 Euro (Verheiratete: 1.500).

Kronzeugenregelung: Täter, die mit der Justiz zusammenarbeiten, können Straferleichterung erhalten. Die Regelung war 1999 ausgelaufen.

Kündigungsschutz: Die Probezeit bei Neueinstellungen wird auf 24 Monate verkürzt. Bisher konnten Arbeitgeber allerdings Verträge einfach auf zwei Jahre befristen – das geht nun nicht mehr.

Ich-AG-Abschaffung: Für die Ich-AGs gibt es noch bis zum 30. Juni nächsten Jahres Geld. Danach soll ein „neues Instrument der Existenzgründung aus Arbeitslosigkeit“ geschaffen werden – eventuell auch nicht als Pflichtleistung. Heißt: Es liegt im Ermessen der Arbeitsagentur, ob die Leistung gewährt wird.

Arbeitslosengeld II: Ostdeutsche Hartz-IV-Empfänger bekommen künftig so viel wie westdeutsche: 345 statt bisher 331 Euro. Die Regeln für Bedarfsgemeinschaften werden verschärft.

Rente: Ab 2007 steigt der Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung von 19,5 Prozent auf 19,9 Prozent. Zudem ist geplant, dass das Rentenalter ab 2012 von 65 auf 67 Jahre angehoben wird. Wer 45 Versicherungsjahre nachweist, soll mit 65 Jahren in Rente gehen können.

Arzneimittel: Um die Pillenkosten halbwegs zu stabilisieren, wird es Spargesetze geben. Betroffen: vor allem Pharmaindustrie und Apotheker.

Was vielleicht kommt:

AKW-Abschaltungen: Am Atomaustieg wird nicht gerüttelt. Die Energiekonzerne haben mit Rot-Grün 2000 keinen Fahrplan für die Abschaltung einzelner AKW vereinbart, sondern Reststrommengen. Deshalb lässt sich nicht sicher sagen, welche Kraftwerke in den nächsten vier Jahren vom Netz gehen. Wahrscheinlich ist, dass Biblis A in Hessen und Neckerwestheim 1 in Baden-Württemberg abgeschaltet werden.

Föderalismusreform: Länder und Bund sollen künftig mehr Gesetze allein machen dürfen. Dafür soll der Bund zum Beispiel Kompetenzen bei Hochschulen, Beamtenrecht, Ladenschluss oder Strafvollzug abgeben. Dafür kriegt er Zuständigkeiten fürs BKA bei der Terrorabwehr oder beim Waffenrecht. Die Länder sollen nur bei weniger Gesetzen über den Bundesrat mitreden dürfen. Fraglich ist, wie stark diese Verfassungsreform am Ende tatsächlich den Bundesrat entmachtet. Und es gibt es Widerstand – auch aus den Koalitionsparteien.

Elterngeld: Wenn Vater oder Mutter wegen der Kindererziehung vorübergehend aus dem Beruf aussteigt, soll er/sie Elterngeld bekommen: Ein Jahr 67 Prozent des letzten Nettoeinkommens, höchstens 1.800 Euro pro Monat. Das Erziehungsgeld wird dadurch ersetzt, bliebe aber nur als Mindestbetrag. Ob das Elterngeld aber so schnell kommt, wird wohl von der Haushaltslage abhängen. Im Vertrag heißt es unverbindlich: „Die Einführung ist ab 2007 vorgesehen.“

Was erst mal nicht kommt:

Bürgerversicherung und Kopfpauschale: Das Thema Gesundheit ist auf das Jahr 2006 verschoben. Doch eine Grundsatzreform der Finanzierung des Gesundheitswesens ist wegen der starken Gegensätze zwischen der SPD-Bürgerversicherung und der Unions-Kopfpauschale nicht zu erwarten.

Betriebliche Bündnisse: Arbeitgeber werden weiter mit den Gewerkschaften verhandeln müssen. Die Union wollte betriebliche Bündnisse ermöglichen, die die Geschäftsleitung mit der Belegschaft eingehen kann – ohne dass die Gewerkschaft am Tisch sitzt.

Türkei-Streit: Die Einigung, dass die seit dem 3. Oktober laufenden Verhandlungen mit der Türkei nicht automatisch zu einer Mitgliedschaft führen, ist eine Allerweltsklausel. Das muss aber die Koalitionspartner nicht stören, weil hier erst mal nichts zu entscheiden ist.

ZUSAMMENSTELLUNG: GEORG LÖWISCH