Ex-Jugoslawien-Tribunal-Richter Eser: "Die Welt schaut zurecht auf Karadzic"

Der ehemalige Richter am Jugoslawien-Tribunal, Albin Eser, erklärt, warum das Gericht zum Frieden auf dem Balkan beiträgt - und es neben der Bestrafung von Verbrechen auch um Versöhnung geht.

taz: Herr Eser, endlich ist Karadzic verhaftet. Kann der Jugoslawien-Gerichtshof also doch noch zu einem erfolgreichen Ende gebracht werden?

Albin Eser: Ich bitte Sie, der Gerichtshof wäre auch ohne ein Verfahren gegen Karadzic erfolgreich gewesen. Immerhin wurden dutzende Verantwortliche von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Aber die Welt schaut natürlich zu Recht auf Karadzic. Erst wenn sich nicht nur untere Chargen, sondern sogar ehemalige Staatschefs für ihre Verbrechen vor Gericht verantworten müssen, funktioniert die internationale Strafgerichtsbarkeit richtig.

Ist ein internationales Strafgericht ein Gericht wie jedes andere, nur eben nicht national?

Nein. Es hat mehr und andere Aufgaben als ein nationales Strafgericht. In erster Linie muss es dafür sorgen, dass auch Verbrechen bestraft werden, die im Namen des Staates begangen wurden. Die dabei bislang übliche Straflosigkeit wird endlich beendet. Zweitens geht es auch um Versöhnung. Voraussetzung dafür ist aber eine Feststellung durch die internationale Gemeinschaft, dass den Opfern solcher Verbrechen Unrecht geschehen ist und wer dafür verantwortlich war. Außerdem, und das ist mir persönlich wichtig, ist auch eine möglichst umfassende Ermittlung der historischen Wahrheit, insbesondere der Hintergründe eines Konflikts, anzustreben.

Richter sind doch Juristen und keine Historiker …

Natürlich. Aber wir können Erkenntnisse festhalten, mit denen Historiker später arbeiten werden. Auch vielen Opferzeugen ist es wichtig, ihre Erlebnisse offenbaren zu können, unabhängig davon, ob sie für das jeweilige Strafverfahren letztlich von Bedeutung sein werden.

Hat der Gerichtshofs befriedend auf den Balkan eingewirkt?

Das glaube ich schon. Als 1995 gegen Karadzic und seinen General Mladic Haftbefehl erlassen wurde, verschwanden diese bald von der politischen Bühne - obwohl die Verhaftung dann sehr lange auf sich warten ließ. Auch die Anklage gegen Milosevic hat den Machtwechsel in Serbien vermutlich beschleunigt.

Der Gerichtshof hat aber nicht das Massaker von Srebrenica 1995 verhindern können …

Das ist ein ungerechter Vorwurf. Der Jugoslawien-Gerichtshof ist zwar schon 1993 durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats eingerichtet worden. Aber da hatte er noch keine Richter, kein Gebäude, keine Prozessordnung. Als Srebrenica geschah, war der Gerichtshof noch nicht wirklich arbeitsfähig. Niemand wusste, ob er funktionieren würde. Ein solches Strafgericht jenseits der staatlichen Souveränität war damals ja noch völlig neu.

Jetzt wissen wir, dass er funktioniert. Doch schon Ende 2008 sollen die erstinstanzlichen Verfahren eigentlich abgeschlossen sein. Bekommt Karadzic ein Schnellverfahren?

Wohl kaum. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man aus bloßen Kostengründen auf der sofortigen Abwicklung des Jugoslawien-Gerichtshofs besteht. Deshalb bin ich sicher, dass sich der UN-Sicherheitsrat zu einer Verlängerung von dessen Mandat durchringen wird.

Die EU hat Serbien die Ratifizierung eines Assoziierungsabkommens in Aussicht gestellt. Sollte damit nicht gewartet werden, bis auch General Mladic ausgeliefert wurde?

Nein. Ich finde, die serbische Regierung muss sofort spüren, dass Kooperation sich lohnt, verbunden mit der Erwartung, dass dann mit der Verhaftung Mladic bald auch der nächste Schritt gemacht wird. Aber das muss die Politik entscheiden, das sind keine juristischen Fragen.

Welche Lehren haben Sie aus Ihrer Richterzeit in Den Haag gezogen?

Ich glaube inzwischen, dass das Prozesssystem nach angloamerikanischem Vorbild, das am Jugoslawien-Tribunal vorherrscht, für derartige Verfahren nicht gut genug geeignet ist.

Warum?

Im Strafprozess nach angloamerikanischem Muster nimmt sich der Richter ganz zurück und überlässt die Befragung der Zeugen im wesentlichen Anklage und Verteidigung. Das kann aber dazu führen, dass bestimmte Fragen nicht gestellt oder wichtige Zeugen von den Parteien gar nicht geladen werden - etwa weil jede Seite befürchtet, nicht nur günstige Aussagen zu erhalten.

Weshalb ist das schlecht?

Dies ist weder für das einzelne Strafverfahren noch für die Aufarbeitung des zugrunde liegenden ethnisch-politischen Konflikts gut. Nur wenn die Wahrheit so weit wie möglich ermittelt wird, kann wirklichkeitswidriger Legendenbildung vorgebeugt und eine Basis für Gerechtigkeit und Aussöhnung geschaffen werden. Dazu ist ein Prozessrecht erforderlich, das dem Richter, wie es in Kontinentaleuropa üblich ist, eine auf Wahrheitsermittlung ausgerichtete Stellung zuweist und weiteres Nachbohren erlaubt, wenn ihm von den Parteien wesentlich erscheinende Beweismittel vorenthalten werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.