Staatsrechtler über defizitäres System: "Mehr direkte Demokratie"

Nicht die Besten, sondern die Unbeweglichsten machen in der Politik Karriere, sagt der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim. Könnten Wähler stärker mitbestimmen, gäbe es andere Kandidaten.

Mit der Demokratie in Deutschland ist es nicht weit her, meint Hans Herbert von Arnim. Bild: dpa

taz: Herr von Arnim, die Politikverdrossenheit nimmt zu. Müssen wir uns Sorgen machen?

Hans Herbert von Arnim: Prinzipiell klagen wir derzeit noch auf einem, jedenfalls wirtschaftlich, recht hohen Niveau. Mit der Demokratie sieht es aber nicht gut aus. Ich sehe zwei weitere belastende Elemente für das Superwahljahr 2009. Erstens geraten wir mit steigenden Preisen und einer flauen Konjunktur vermutlich in eine wirtschaftlich schwierige Situation. Zweitens wird durch den Einzug der Linken in Zukunft die Regierungsbildung erschwert.

Aber gerade dadurch hat der Wähler doch eine Option mehr.

Trotzdem wird es schwerer, eine Regierung zu bilden, und Dreierkoalitionen sind vermutlich weniger stabil. Bei einem 5er-System existiert auch ein großes Dilemma: Werden keine Koalitionsaussagen getroffen, dann wird der Wähler entmündigt, da er nicht weiß, was die Politik aus seinem Willen macht. Auf der anderen Seite droht bei verbindlichen Aussagen eine dauerhafte Blockade, wie in Hessen.

Aber symbolisiert das nicht den Willen des Wählers? Im internationalen Vergleich gilt unser Wahlrecht als sehr fair …

… und besitzt trotzdem viele Schwächen. In vielen Wahlkreisen herrscht eine Hochburgsituation: Die vor Ort herrschende Partei kann dem Wähler einen Kandidaten aufdrücken, dem es letztendlich egal sein kann, ob er 45 oder 65 Prozent der Stimmen erhält. Ein weiteres Manko sind die sicheren Listenplätze. Durch sie werden Kandidaten der Entscheidung der Wähler entzogen, der hier nur abnicken kann.

Was schlagen Sie vor?

Abhilfe können Vorwahlen schaffen, wie sie vor Jahren Franz Müntefering vorgeschlagen hat. Dann hätten die Bürger auch in sicheren Wahlkreisen eine Wahl, und die Parteien wären gezwungen, bei der Kandidatenauswahl sorgfältiger vorzugehen. Die Listen könnten durchaus bestehen bleiben, allerdings sollte der Wähler die Möglichkeit haben, eine Reihung vorzunehmen.

Die Parteien argumentieren, dass darunter die Kontinuität leiden könnte.

Das halte ich für eine reine Schutzbehauptung. Bei einem repräsentativen System hat der Wähler doch fast nur seine Wahlstimme, um Politik zu gestalten. Kabinettsumbildungen zeigen, als wie problemlos selbst radikale Amtswechsel von Berufspolitikern empfunden werden. Zudem brauchen wir die direkte Demokratie auch auf Bundesebene.

Würde der Wähler das ständige Abstimmen honorieren?

In Umfragen plädieren große Mehrheiten für mehr direkte Demokratie. Der Wähler muss sich natürlich erst an diese neuen Möglichkeiten gewöhnen. Eine wichtige Rolle spielen hier die Medien, die diesen Prozess unterstützen müssen. Sie bilden außerdem eine einzig wirksame Kontrolle, wenn die politische Klasse mal wieder selbst über ihre Zukunft entscheiden will; Stichwort: Erhöhung der Diäten und der Parteienfinanzierung.

Fehlen uns gute Politiker?

Der Idee nach sollten die Besten im Parlament sitzen. Dies verhindert allerdings der momentane Rekrutierungsprozess; die langjährige Ochsentour dominiert noch immer. Eine in der SPD viel diskutierte Studie zeigt, dass vornehmlich jene in der Politik Karriere machen, die immobil sind und außerdem viel Zeit haben.

Sind die USA ein Vorbild?

Sicher weist auch das System in den USA viele Schwächen aus. Doch spielen dort die Parteien eine viel geringere Rolle, der einzelne Kandidat zählt mehr. Ein kleines Stück davon sollten wir übernehmen. An der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, wie es das Grundgesetz vorsieht, würden die Parteien dann immer noch.

Hätten wir dann auch in Deutschland einen Obama?

Das wäre wirklich wünschenswert: Die Demokratie benötigt auch charismatische Typen wie Brandt oder Obama, denen sich keiner entziehen kann. Statt Parteisoldaten brauchen wir Politiker, die staatsmännisch denken und nicht durch jahrelange Parteiarbeit in festen Denkstrukturen verharren.

INTERVIEW: SEBASTIAN KEMNITZER

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