Dopingsumpf nun trocken?: Die Pille davor

Bereits vor Beginn der Spiele wurden viele Athleten des Dopings überführt und gesperrt. Doch ob die Wettkämpfe durch die verschärften Kontrollen wirklich sauberer werden, ist fraglich.

Einige Athleten schauen beim Doping-Test blöd in die Röhre. Bild: reuters

PEKING taz Beinahe hätte sie es zu den Spielen geschafft. Die indische Gewichtheberin Monica Devi hat sich schon auf den Abflug nach Peking vorbereitet. Doch im letzten Moment wurde sie aus dem Olympiaaufgebot ihres Landes gestrichen. Der Grund: ein Dopingvergehen. Am 29. Juli ist sie positiv getestet worden. Wieder eine Athletin weniger. Der vorolympische Kampf gegen das Doping hat sich in den letzten Monaten zu einem wahren Ausscheidungsrennen entwickelt. Namenlose Athleten, die nur kennt, wer die internationalen Ergebnislisten von hinten studiert, wurden ebenso erwischt und aussortiert wie hochdekorierte Spitzensportler. Der Sport hat im Olympiajahr 2008 weiter an Glaubwürdigkeit eingebüßt.

"Noch nie war die Wahrscheinlichkeit für einen Betrüger erwischt zu werden, so groß wie heute", sagte John Fahey, der Präsident der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) am Tag vor der Eröffnung der Spiele. Die Tests seien nicht nur zahlreicher geworden, sondern auch intelligenter, zielgerichteter. "Wer spät anreist, früh wieder abreist und erst gar nicht im olympischen Dorf wohnt, ist für uns natürlich interessant", erläuterte er. Und doch ist die Wada alles andere als eine Organisation, die unter den Sportlern Angst und Schrecken zu verbreiten vermag. Es werden Pillen geschluckt wie eh und je. Das weiß auch Fahey. Doch er, der ehemalige australische Minister, redet wie ein Politiker im Wahlkampf lieber von den Erfolgen seiner Arbeit als von den Problemen, die weiter ungelöst sind.

Vor zwei Wochen stellte der Internationale Leichtathletikverband fest, dass sieben russische Sportlerinnen, darunter Medaillenkandidatinnen, bei Dopingkontrollen manipuliert haben. Ihr Urin wurde einem DNA-Test unterzogen. Die entnommenen Proben von zwei verschiedenen Wettkämpfen stimmten nicht überein. Nicht nur für Arne Ljunqvist, den Vizepräsidenten der Wada und langjährigen Chef der medizinischen Kommission im Internationalen Olympischen Komitee (IOC), liegt es auf der Hand, dass in der russischen Leichtathletik systematisch gedopt wird. Dass mittlerweile drei russische Geher des Epo-Dopings überführt worden sind, untermauert diese Annahme. Doch Wada-Chef Fahey will sich dazu nicht äußern. Die Sportler müssten erst angehört werden. In ein laufendes Verfahren wolle er sich nicht einmischen.

Verhandelt wird der Fall, in dem es um den Verdacht der Manipulation von Dopingproben geht, in Russland, in der Verantwortung des russischen Leichtathletikverbands. Dessen Chef ist der als kompromissloser Medaillenjäger bekannte Walentin Balachnitschew. Der konnte den Beschluss des Internationalen Verbands (IAAF), die Athletinnen erst einmal aus dem Verkehr zu ziehen, nicht nachvollziehen. "Wegen der Entscheidung der IAAF können die Sportler leider nicht an den Olympischen Spielen in Peking teilnehmen", sagte er. Leider. Balachnitschews Verband, der unter dem massiven Verdacht steht, das systematische Doping seiner Athleten zumindest geduldet zu haben, soll nun über die Doper richten. Der Wada-Chef schweigt dazu.

Kritik an der Arbeit einzelner Sportverbände oder nationaler Anti-Doping-Agenturen ist von Fahey nicht zu hören. Er vertraut ihrer Arbeit und geht davon auch, dass sie alles unternommen hätten, um Betrüger von den Spielen fern zu halten. Die Fülle vorolympischer Dopingfälle könnte in der Tat die Zahl der während der Spiele aufgedeckten Betrügereien reduzieren. Die bulgarischen Gewichtheber, von denen in diesem Jahr bereits elf positiv getestet wurden, werden in Peking für keine weiteren Negativschlagzeilen mehr sorgen können. Nachdem das Nationale Olympische Komitee eingesehen hatte, dass der Dopingsumpf bei den Gewichthebern zu tief ist, entschied er, erst gar keine Kraftsportler nach Fernost zu schicken. Sollte es in den nächsten zwei Wochen tatsächlich kaum Dopingfälle geben, würde das dennoch noch nichts aussagen über die Sauberkeit des Leistungssports in der Welt.

Jacques Rogge, der IOC-Präsident, macht sich indes wenig Illusionen über dopingfreie Spiele. Er rechnet mit 30 bis 40 überführten Athleten in Peking. Bei den Spielen in Athen sind 26 Dopingsünder ermittelt worden. 3.600 Tests wurden 2004 durchgeführt. In Peking werden 4.500 Proben genommen. Deshalb rechnet Rogge mit einer höheren Zahl von Dopingfällen. "Ich hasse Doping", sagte er bei seinem letzten öffentlichen Auftritt vor der Eröffnungsfeier. Er sieht sich als Anwalt der ehrlichen Athleten. Doch dem IOC schlägt nicht nur Dankbarkeit entgegen. Genervt zeigen sich etliche Athleten über die Kontrolldichte während der Spiele. Alain Bernard, der französische Wunderschwimmer der Saison (Weltrekordhalter über 100 Meter Freistil) zum Beispiel. Gleich nach seiner Ankunft im Olympischen Dorf und damit nur zwei Tage nach der letzten Kontrolle wurde er in den Anti-Doping-Raum zum Wasserlassen geschickt. Andere haben ganz grundsätzliche Probleme mit dem Kontrollwesen. "Es ist unser Blut und unser Urin", sagte der australische Wasserspringer Robert Newberry.

Auch ein spanischer TV-Journalist wollte die Logik des Kontrollsystems nicht verstehen. Während andere Kollegen von Jacques Rogge wissen wollten, was er kurz vor den Spielen zur Menschenrechtssituation in China zu sagen hat, fragte der Spanier, ob es nicht einer Vorverurteilung gleichkomme, wenn die spanischen Radprofis gleich nach der Ankunft in Peking zur Kontrolle müssten. Rogge reagierte mit Verwunderung auf die Frage. Wahrscheinlich hat auch er schon einmal den Namen Alejandro Valverde gehört. Ja, der als Blutwäschekunde extrem verdächtige Radler, ist dabei in Peking. Er konnte nicht rechtzeitig überführt werden. Der Spanier ist durchgekommen im vorolympischen Doping-Auscheidungsrennen.

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