Gegner der Todesstrafe eröffnet Olympia: Kindergehopse und Konfuzius
Die Olympischen Spiele in China sind eröffnet - mit einer Überraschung: dem Turnstar Li Ning als Fackelträger. Er ist ein erklärter Gegner der Todesstrafe.
Der kleine Mann, der bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele am Freitag in Peking wie von Zauberhand 35 Meter über dem Nationalstadion schwebte, um dann in luftiger Höhe das olympische Feuer zu entzünden, war Li Ning, Jurist und erklärter Gegner der Todesstrafe in China. Nur kennt ihn in China niemand als politischen Querdenker, sondern als Chef seiner Sportartikelfirma gleichen Namens und als dreimaligen Goldmedaillensieger der Olympischen Spiele von 1984 im Turnen. Trotzdem: Dass der Wahlhongkonger Li Ning von den kommunistischen Veranstaltern der Spiele als letzter Fackelläufer gewählt wurde, ist ein Zeichen der politischen Öffnung.
Li ist kein kommunistischer Phrasendrescher, sondern ein differenziert argumentierender Zeitgenosse. Man darf nun gespannt sein, ob er sich nicht nur wie vor Jahren in einem Interview mit der taz, sondern auch gegenüber der chinesischen Öffentlichkeit zur Abschaffung der Todesstrafe bekennt.
Sein Fackellauf beendete die über vier Stunden dauernde Eröffnungsfeier der Spiele, die ganz im Zeichen einer entideologisierten, parteifernen chinesischen Geschichtsbetrachtung stand. Hätte nicht am Anfang der Feier Partei- und Staatschef Hu Jintao von der Tribüne gewinkt, hätten nicht Soldaten die chinesische Fahne gehisst, der starre politische Rahmen der Spiele wäre für den Zuschauer nicht spürbar gewesen. Vielmehr führte der Chefregisseur der Feier, Filmemacher Zhang Yimou, farbenprächtige chinesische Geschichtsbilder vor, die zu strengeren KP-Zeiten alle politisch unkorrekt gewesen wären. Er pries die vier großen chinesischen Erfindungen Papier, Druck, Schießpulver und Kompass, indem er eine über das ganze Stadionfeld reichende riesige Schriftrolle ausbreiten ließ. Auf ihrem imaginären Papier ließ der Filmemacher in Heerscharen alte Hofbeamte tanzen. Er zitierte den von den Kommunisten einst verpönten Philosophen Konfuzius, indem er die Schriftzeichen seiner Verse mit Bausteinen zu einer Skulptur formte.
Die Massenchoreografie nutzte er, wie es die kommunistischen Regime in Asien zu tun pflegen, gab ihr aber neue Inhalte und verwandelte ihre übliche Starre in Lockerheit. Nicht Reih und Glied war angesagt, sondern Kindergehopse und Schattenboxen. Den Sprung in die Moderne verkörperte bei der Feier der Pianist Lang Lang. Er gab einem Kind mitten im Olympiastadion Klavierunterricht. Er verkörperte so den heutigen Siegeszug des bürgerlich orientierten Mittelstands in China. Seine Sorgen sind ökologisch: "Die Erde wird wärmer, die Gletscher schmelzen", sang eine Schulklasse im Olympiastadion und ging symbolisch Bäume pflanzen zur Rettung des Weltklimas.
Die Zukunft erschien am Ende nur noch als Traum nach dem Olympia-Motto "Eine Welt, ein Traum". Taikonauten flogen durch die Arena, 2008 Kindergesichter lachten zum vom Feuerwerk erleuchteten Himmel, die Sängerin Sarah Brightman sang ganz konfuzianisch. Und zwar: "Du und ich, von einer Welt, sind eine Familie."
In Peking versammelten sich während der Feier viele Menschen vor Leinwänden an öffentlichen Plätzen. Die Reaktionen waren geteilt. Li Datong, Exchefredakteur der Kommunistischen Jugendzeitung und heute KP-Kritiker, war "sehr enttäuscht" von der Show. Er fand sie "oberflächlich, seelenlos und hülsenhaft". Ein Schaudern habe ihn bei einem Kinderlied aus den 50er-Jahren überkommen: "Das waren Töne aus der stalinistischen Steinzeit."
Ganz anders erlebte Chinas Regie-Nachwuchsstar Lu Chuan in einer Pekinger Kneipe mit Freunden die Feier: "Zhang Yimou ist es gelungen, die chinesische Kultur darzustellen. Das hat mich nicht überrascht, aber stolz gemacht", sagte Lu der taz. Er fand das Kinderlied aus den 50ern einfach rührend. Doch einen Kritikpunkt hatte auch er: Die Fahne hätten nicht Soldaten, sondern Zivilisten hissen sollen.
An der Feier nahmen 91.000 Menschen im prall gefüllten neuen Olympiastadion teil. Das Stadion war weiträumig von der Polizei abgesperrt. Jeder Zuschauer musste mehrere Sicherheitskontrollen und lange Wartezeiten in Kauf nehmen. An manchen Straßenecken waren weiß getünchte, zum Teil mit Planen verhüllte Militärfahrzeuge postiert. Insgesamt war in Peking deutlich mehr Polizeipräsenz als noch an Vortagen zu spüren. Das Wetter spielte zwar mit: Der gefürchtete Regen blieb aus, der gelb vergiftete Smoghimmel hing nicht über dem Stadion. Dafür herrschte aber eine drückende Schwüle, die Sicht blieb schlecht, der Himmel grau. Die Zuschauer ließen sich allerdings davon nicht stören: Sie jubelten bei jedem Spezialeffekt der großen Inszenierung und winkten stets mit bunten Leuchtstäben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!