Fußball im Knast: Der Kick hinter der Mauer

Eine Jugendauswahl von Hertha BSC trainiert einen Nachmittag lang mit jungen Straftätern im Gefängnis Plötzensee. Die einen soll das sportliche Treffen abschrecken, die anderen aufmuntern.

Zwei junge Männer stehen sich in kurzen Hosen auf dem Rasen gegenüber. Der eine ein bisschen x-beinig, der andere ein bisschen o-beinig. Beide haben schwarze Haare und einen dunklen Teint. Sie könnten Brüder sein. Doch die Jungen leben in verschiedenen Welten. Der kleinere Omar trägt ein blau-weiß gestreiftes Hertha-Trikot. Er ist Mitglied der U17, einer Jugendauswahl des Vereins, und arbeitet an seiner Karriere. Dilan (Name geändert) sitzt seit zwei Jahren und drei Monaten im Knast.

Dienstagnachmittag. Die Hertha-Mannschaft ist in der Jugendstrafanstalt (JSA) Plötzensee in der Nähe des Westhafens zu Gast, um gemeinsam mit den Gefangenen zu trainieren. Omar, Dilan und die anderen Jungen halten still, während der Fotograf die Spieler zusammen auf dem Rasen knipst. Sie blicken ernst in die Kamera. Dann laufen sie auseinander, das Training kann losgehen.

Das Gefängnis in Plötzensee ist eine der größten Haftanstalten für männliche Jugendliche in Deutschland. Fast 500 junge Straftäter sitzen hier ein. Mehr als zwei Drittel verbüßen eine Jugendstrafe, der Rest ist in Untersuchungshaft. Weil auch 20-Jährige noch nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden können, liegt der Altersdurchschnitt in der JSA bei 20, sagt eine Sprecherin. 60 Prozent der Jungen sind wegen Gewaltdelikten hier - also gefährlicher Körperverletzung, Raub, Mord oder Totschlag.

Auf dem Platz sind die JSA-Jungen in ihren orangenen Leibchen zurückhaltend und höflich. Man kann nur ahnen, dass man hart sein muss, um zwischen ihnen zu bestehen. Einige haben Tätowierungen auf Hals oder Armen. Manche sind bullig gebaut. Die meisten aber würden auf der Straße nicht weiter auffallen. "Ganz Unliebsame haben wir selten", sagt einer der Sozialpädagogen, der am Rand steht. Ein ganz normales Treffen zweier Mannschaften auf einem Sportplatz. Wäre da nicht die meterhohe Betonmauer hinter dem Tor, die das Gelände umgibt.

Für Hertha ist der Besuch eine "Maßnahme, um den Jungs auch die anderen Seiten des Lebens näherzubringen", wie es Frank Vogel, der sportliche Leiter des Jugendbereichs, beschreibt. Keine Frage: Wer in der U17 spielt, ist ziemlich privilegiert. Gerade erst war die Mannschaft eine Woche bei einem Turnier in Nordirland, erzählt einer der Betreuer. "Da haben wir in einem schicken Hotel direkt am Meer gewohnt."

Der Alltag ist streng getaktet: Die 15- und 16-Jährigen gehen morgens zur Schule, nachmittags gibt es eine Hausaufgabenbetreuung und danach das Training. Wer zu weit weg wohnt, kann auch im vereinseigenen Internat unterkommen. Vogel sagt, Hertha schaue sich auf den Fußballplätzen in und um Berlin genau um. "Nur die besonders guten Spieler bleiben bei uns, damit sich der Aufwand lohnt."

Omars Familie stammt aus dem Libanon und lebt heute in Spandau. Seine Eltern sind arbeitslos, erzählt er. Als er zwölf war, brachte ihn ein Freund des Vaters zum Probetraining bei Hertha. Er wurde genommen. Längst schon bestimmt der Fußball sein Leben. Omar träumt davon, in der Bundesliga zu spielen. "Ich will versuchen, durch den Fußball das Geld in meine Familie zu bringen", sagt er. Und wenn das nicht klappt? Omar lächelt. "Das klappt schon."

Nur wenige der 25 Jungen werden es tatsächlich schaffen, eines Tages als Profi zu kicken, weiß Vogel. Die anderen müssen dann einen Weg finden, mit der Enttäuschung umzugehen. Auch deshalb ist er mit ihnen in das Gefängnis gekommen. "Die sollen sehen, dass man von manchen Dingen besser die Finger lässt, weil man ganz schnell abrutschen kann."

Der Trainer teilt den Platz in vier Felder. Einige Jugendliche spielen in gemischten Gruppen Fußballtennis. Der dunkelhaarige Dilan hebt den Ball über das Netz. Die Jungen auf der anderen Seite kicken ihn sofort zurück. Dilan läuft hin, doch der Ball springt ihm vom Fuß. Er zuckt mit den Schultern - was solls - und holt den Ball aus dem Aus.

Dilan lässt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Der 22-Jährige gehört zu den Älteren in der JSA. Er ist Kurde, seine Familie lebt in Schöneberg. Wegen Drogenhandels in größerem Stil sei er zu dreieinhalb Jahren verurteilt worden, erzählt er. "Andere hier haben Menschen umgebracht und trotzdem nur zwei Jahre mehr gekriegt als ich." Wieder zuckt er mit den Schultern. Es hat keinen Zweck, sich darüber aufzuregen. Am schwersten seien die ersten Monate gewesen, erzählt Dilan. "Du träumst von deiner Familie, wachst auf und liegst in deiner Zelle." Inzwischen habe er sich an die Mauer gewöhnt. "Ich nehme die nicht mehr wahr." Jetzt macht er eine Ausbildung zum Metallbauer.

Während die einen Fußballtennis spielen, üben andere Finten. Ab und zu wechseln die Jungen durch. Keiner rempelt den anderen um. Wenn ein Ball ins Aus fliegt, gibt es höchstens mal einen Spruch. "Jetzt weiß ich, wo bei euch die Schwachstelle ist", ruft ein Insasse über das Netz seinem Kumpel zu. Sie lachen. Plötzlich knallt einer mit voller Wucht den Ball an die Mauer. Der JSA-Trainer weist ihn zurecht.

Zur Partie Herthaner gegen die Gefangenen kommt es nicht. Zu ungleich wären die Chancen, meint ein Betreuer. "Da könnte sich schnell etwas hochschaukeln, das muss nicht sein." Also kicken die Jungen in gemischten Mannschaften gegeneinander. Es regnet leicht. Das Ergebnis interessiert niemanden wirklich.

Dilan hat der Nachmittag Spaß gemacht. Er ist ganz aufgekratzt. "Wie viel Geld verdient ihr?", fragt er ein paar Hertha-Jungen neben sich im Gras. "150 Euro Taschengeld? Das ist ja ein Hungerlohn!" Ein anderer Gefangener ist ganz enttäuscht, als er hört, dass es nicht mal eine Torprämie gibt.

Am Abend verlassen die Hertha-Jungen das eingemauerte Gelände. Wenn alles klappt, so der Hertha-Trainer, kommen sie wieder.

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