Kein Grund zum Alarm

Große Funde mit kleiner Aussagekraft: Neue „Partydrogen“, die anderswo Drogenfahnder und -hilfe alarmieren, spielen in Hamburg kaum eine Rolle

„Sollte sich Crystal in Hamburg verbreiten, bekommen wir ein großes Problem“

von Elke Spanner

In Hamburgs Clubs machen mehr Gerüchte um neue Drogen die Runde als diese selbst. Die Polizei schien einem ganz neuen Trend der Partyszene auf der Spur zu sein, als sie jüngst den Fund von 21 Litern „Liquid Ecstasy“ feierte. Stattdessen dürfte sie nicht eine der ersten, sondern der letzten großen Lieferungen der Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB) in die Hansestadt abgefangen haben. Experten zufolge hatte Liquid Ecstasy hier Ende der 90er Jahre ein kurzes Hoch – und spielt heute so gut wie keine Rolle mehr. Allenfalls in der Schwulenszene tauche der Stoff gelegentlich noch auf.

Liquid Ecstasy aber ist ein gutes Beispiel dafür, wie leicht Mythen entstehen. Wäre es leicht zugänglich, es böte in der Tat eine erhebliche Gefahr. Die Droge soll eine euphorisierende und sexuell stimulierende Wirkung haben. Da die Flüssigkeit getrunken wird, ist die Gefahr der Überdosierung groß. Schon leicht erhöhte Mengen können zu Herzrhythmusstörungen führen, vereinzelt soll es Tote gegeben haben. Außerdem führt Liquid Ecstasy in hoher Dosis zu Gedächtnisverlust. Es sind Fälle bekannt geworden, in denen Frauen auf Partys heimlich Liquid Ecstasy ins Getränk geschüttet wurde, um sie zu vergewaltigen – anschließender „Filmriss“ einkalkuliert. So ist Liquid Ecstasy unter dem Titel „Vergewaltigungsdroge“ bekannt geworden. Wegen der begrenzten Verbreitung wittert Hamburgs Polizei dennoch „keine große Gefahr“, so Sprecherin Karina Sadowsky.

Auch „Crystal“ hat noch kaum einen Weg nach Hamburg gefunden. Das Pulver, in Tablettenform Yaba genannt, wird derzeitigen Erkenntnissen zufolge überwiegend in Tschechien und Polen hergestellt und erfreut sich in Deutschland vor allem in Sachsen, Thüringen und Bayern großer Beliebtheit bei Partygängern. „Die Wirkung ist ein Vielfaches dessen, was man von anderen Drogen so kennt“, erklärt Theo Baumgärtner vom Hamburger Büro für Suchtprävention. Das Abhängigkeitspotenzial wird bis zu 300-mal stärker als das von Heroin eingeschätzt. Die Droge wirkt wie Kokain – nur heftiger und länger. Erhöhte Aufmerksamkeit, gesteigertes Selbstbewusstsein, Ausschalten des Hunger- und Durstgefühls sind die erwünschten Effekte, bis zu zwei Wochen lang anhaltende Nebenwirkungen die unerwünschten: Schlafstörungen, Halluzinationen, Aggressionen und schlicht das Gefühl, „nicht runterzukommen“.

Einige Crystal-Konsumenten berichten, an jedem Partywochenende mehrere Kilo Gewicht verloren zu haben, weil sie tagelang nichts gegessen und getrunken haben. „Sollte sich die Droge in Hamburg verbreiten, bekommen wir hier ein großes Problem“, prohezeit auch Baumgärtner. Noch ist der Experte aber nicht alarmiert. „Crystal ist bisher nur in Einzelfällen in Hamburg aufgetaucht.“ Das bestätigt auch die Polizei: „Bisher“, so Sprecherin Sadowsky, „hatten wir nur einen einzelnen Fund in sehr geringer Menge“.

Vermehrt sind die Fahnder hingegen in der Vergangenheit auf MCCP gestoßen. Das stimulierend wirkende Metachlorphenylpiperazin wird nicht einzeln gehandelt, sondern üblichen Ecstasy-Tabletten beigesetzt. So bleibt das Augenmerk der Ermittler ebenso wie das der Drogenfachleute trotz neuer Stoffe auf dem Markt doch weiterhin vor allem auf Ecstasy gerichtet – die Partydroge Nummer eins neben Alkohol und Cannabis.

Zwar hat Ecstasy mit Blick auf die Zahl der Konsumenten seinen Höhepunkt ebenfalls überschritten. Forscher der Drogenambulanz des Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) haben aber kürzlich in einer Studie festgestellt, dass regelmäßiger Konsum zu Gedächtnisstörungen führen kann. Zudem hat das Büro für Suchtprävention neue Gebrauchsmuster festgestellt, insbesondere den Mischkonsum mit anderen Drogen. So birgt der altbekannte Stoff laut Baumgärtner doch neue, „völlig unkalkulierbare Risiken“.