„Der Tod ist völlig uninteressant!“

67.000 Dialyse-Patienten warten auf eine neue Niere. Einer von ihnen ist Frank Schlender. Ein Portrait

von Denise Roithmair

Frank Schlender liegt in einem Bett der Dialysestation des St. Joseph Krankenhauses in Neukölln. Er liest in einem Roman, der Fernseher flimmert nebenbei. Monotones Rauschen, wie von einem Geschirrspüler, füllt den Raum, dazu ein regelmäßiges Klack-Geräusch. „Man hört die Lüftung der Dialysemaschine nicht mehr. Das ist Teil meines Lebens. Ich komme drei Mal die Woche für jeweils fünf Stunden hierher“, sagt der 51-Jährige, legt sein Buch zur Seite und blickt schelmisch hinter seiner Brille hervor.

Am 15. Mai 2009 fährt Frank Schlender auf der Autobahn in sein Büro, als ihm plötzlich schlecht wird und er anhalten muss. Er kommt in die Notaufnahme, wo ihm die Ärzte eine Diagnose stellen, die ihm den Boden unter den Füßen wegreißt: Seine Nieren haben versagt. Die lebenswichtigen Giftstofffilter des Körpers funktionieren nicht mehr.

„Ich wusste nicht, wie es weiter gehen soll. Es ist der absolute Kontrollverlust über den eigenen Körper. In kürzester Zeit mussten eine Reihe von Entscheidungen getroffen werden: Ich habe meine Firma verkauft und meinen Job an den Nagel gehängt“, erinnert er sich. Das war vor vier Jahren. Seither ist Frank Schlender von der Dialysemaschine abhängig, seither wartet er auf eine Spenderniere.

Jährlich erkranken in Deutschland etwa 16.000 Menschen an endgültigem Nierenversagen. Dann übernimmt die Dialysemaschine die wichtigen Funktionen der Nieren. Insgesamt warten rund 67.000 Dialysepatienten auf ein Spenderorgan, etwa 24.000 Menschen leben mit einer transplantierten Niere.

„Das ist mein Unterarm-Shunt, ein operativ hergestellter Kurzschluss zwischen Arterie und Vene, der es ermöglicht, große Mengen Blut aus meinem Körper raus und wieder reinzuleiten“, erklärt Schlender und zeigt, wo er an die Dialyse-Apparatur angeschlossen ist, die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Aus seinem linken Arm führen Schläuche zur Dialysemaschine, verschwinden in einem Durcheinander aus Ventilen und Klemmen und finden wieder den Weg zurück.

Während der fünfstündigen Behandlung werden 80 bis 90 Liter Blut durch einen Filter gepumpt, der es von giftigen Stoffen und überschüssigem Wasser befreit. „Der Vorgang ist schmerzfrei, aber anstrengend für den Organismus. Man muss die Realität einfach akzeptieren! Ich lenke mich ab und nutze die Zeit, die ich für mich habe.“

Während der Dialyse vertreibt sich Schlender das Warten mit Schreiben. Und mit Ironie. Einige Krimis, historische Romane und Jugendbücher hat er schon veröffentlicht. Zur Zeit arbeitet er an einem Drehbuch. „Andere Patienten setzen sich während der Dialyse auf einen Ergometer, strampeln sich ab und kommen dabei keinen Zentimeter voran. Schon etwas seltsam, finde ich. Ich freue mich lieber des Lebens.“ Sein Leben hat er radikal geändert. Eine strikte Diät verhindert eine zusätzliche Vergiftung, Medikamente bauen das schädliche Phosphor in Nahrungsmitteln ab. „Man verzichtet freiwillig auf Süßkram und auf Alkohol. Leben oder sterben: Viele Alternativen bleiben nicht. Trotzdem esse ich nicht nur Öko-Tofu-Reis-Cracker.“

Nach zwölf Jahren geht das Warten wieder los

Heute lebt Frank Schlender von Hartz IV. Vor seiner Erkrankung führte der Medienwissenschaftler ein Leben auf der Überholspur. Seine Fernsehproduktionsfirma lief gut, aber forderte alles von ihm: „Ich hatte 14-Stunden-Tage. Mein letzter Urlaub war 1986! Ich habe aber nie geraucht oder getrunken“, sagt Schlender und ordnet die Schläuche auf seiner Brust. „Mein hoher Blutdruck war über Jahre unbehandelt. Irgendwann wird‘s dann den kleinen Nieren-Freunden zu viel, und sie verabschieden sich mit einem ordentlichen Peng!“ Er lacht laut, seine Hände ahmen eine Explosion nach.

Schrilles Pfeifen unterbricht das Gespräch. Die Schwester, die nach wenigen Sekunden hereinkommt, schaut mahnend. Er fuchtle immer so wild mit den Armen herum, da löse der Apparat eben Alarm aus. Kein Grund zur Sorge. Man kennt sich - 18 Stunden verbringt Frank Schlender in der Woche hier. Er zwinkert der Schwester zu und freut sich wie ein kleiner Junge.

„Die Statistik zeigt, dass Patienten nach fünf bis sieben Jahren eine Spenderniere erhalten. Das ist Fakt, kein Zweifel! Ich lebe noch, und solange warte ich. Noch ein paar Jahre, dann kommt der Anruf!“ Das Blitzen verschwindet aus Schlenders Augen. Seine Überzeugung hat nichts mit verzweifelter Naivität zu tun; es ist der Versuch am Leben festzuhalten. Zahlen und Studien stiften Trost.

Hat er Angst vor dem Tod? „Der Tod ist völlig uninteressant. Diese Gedanken wären sinnlos und kontraproduktiv. Die Niere kommt. Die hält dann in der Regel zwölf Jahre, und dann geht‘s eben wieder von vorne los.“ Schlender sagt das mit einer nüchternen Selbstverständlichkeit, als spreche er von der Schlange an der Kasse, bei der man sich immer wieder hinten anstellen muss.

Ist Frank Schlender seit der Krankheit ein anderer? „Ich bin ruhiger und bedachter geworden“, meint er: „Meine Holde sagt, mein Humor sei aber immer noch spitzfingrig und feingliedrig.“ Und makaber. Was, wenn die Statistik nicht Recht behält? „Ich habe beschlossen, 125 Jahre alt zu werden. Wenn das nichts nützt, lasse ich T-Shirts bedrucken mit der Aufschrift: ,Kauft mehr Motorräder‘.“