„Pinie und Tanne müssen wir werden“

Der Schriftsteller Moritz Rinke über Hetzerei, Wahnsinn und das Warten auf Applaus

Interview Julia Wötzinger

UdK: Worauf warten Sie am liebsten?

Moritz Rinke: Auf die Verlängerung beim Fußball.

Wann finden Sie Warten unerträglich?

Rinke: In der Liebe? Vielleicht aber wäre ein solches Warten schon wieder Zeichen, selbst für Heilung zu sorgen und das Warten zu enden.

Was ist Ihr schlimmstes Warteerlebnis?

Rinke: Es gab da so die eine oder andere Periode, auf die ich ziemlich nervös gewartet habe, aber am Ende wäre das wahrscheinlich alles gar nicht schlimm geworden. Ich hoffe, diese Antwort mit der Periode geht in der taz.

Wer wartet auf Sie?

Rinke: Ich wünschte, es wäre Godot himself, aber momentan wartet mein Verlag auf die Buchfahnen, die ich korrigieren soll. Und ich denke natürlich, dass viele auf Antworten warten, man könnte ja heute rund um die Uhr irgendwas beantworten: Mails, Sms, Facebook, Anrufbeantworter etc. Ich glaube, jeder Mensch denkt, da wartet jemand, und schon dieses vermeintliche Warten der anderen hetzt ihn, macht ihn unruhig. Ich glaube, diese von uns erwartete Warterei der anderen hetzt uns noch in den Wahnsinn. Ich stelle mir einfach vor, dass niemand wartet, und so werde ich zum Mailmessie! Dass niemand wartet, kann auch das Gegenteil von Unruhe bewirken. Oder meinten Sie die Frage eher romantisch, diese eine Frau, die da wartet? Darauf werde ich nicht antworten.

Warten ist wie...?

Rinke: Zum Beispiel wie eine Anleitung, ein guter Börsianer zu werden. Zumindest behauptet das Robert Musil. „Wer es aushalten kann, zu warten, gewinnt immer!“ Oder nehmen Sie Nietzsche: „Die Pinie scheint zu horchen, die Tanne zu warten: und beide ohne Ungeduld.“ Pinie und Tanne müssen wir werden.

Schon mal vergeblich auf Applaus gewartet?

Rinke: Ja!

Wie war das?

Rinke: Oh, das war in Bochum. Mein Stück „Die Optimisten“ wurde uraufgeführt, und darin gibt es die Figur Carla, eine glühende Aktivistin, eine junge Revolutionärin. Leider trennte sich die Darstellerin der Carla während der Proben vom Hauptdarsteller, oder umgekehrt, auf jeden Fall legte sie meine Figur in dieser Probenzeit vollkommen hysterisch an. Bei der Uraufführung war gerade ein Attac-Kongress in Bochum, und die Aktivisten kamen zur Premiere, zusammen mit der gesamten SPD-Spitze, da war gerade auch noch Parteitag in Bochum. Und in der Aufführung verwandelte sich dann meine glühende Aktivisten-Figur immer mehr in eine hysterische Kuh.

Als ich zum Schlussapplaus auf die Bühne geholt wurde, brach er quasi ab, und es flogen Programmhefte und noch andere Gegenstände vom Balkon, wo die Attac-Aktivisten saßen. Für mich war das traumatisch. Ich erinnere mich noch an das verstörte Gesicht meines Vaters neben meiner Verlegerin und Peer Steinbrück. Danach bin ich ins Halbdunkel der Hinterbühne gerannt, am Inspizienten vorbei und durch einen Notausgang nach draußen auf die Straße. Ich hatte nur ein weißes Hemd an. Und es war eine kalte Novembernacht.

Moritz Rinke, 45, gehört zu den wichtigsten Dramatikern, Romanciers und Essayisten seiner Generation. Derzeit wird sein Stück „Wir lieben und wissen nichts“ am Schauspiel Frankfurt aufgeführt.