DIE FESTUNG DER FRAU SOMMER

VON DIETRICH ZUR NEDDEN

Syrien, Mali, Ägypten etwa – akute Kriege, Konflikte, Krisen bedrängen Herrn Bang. Sie nehmen ihn mit, versetzen Einbildungskraft und Empfinden in Bewegung, bis sich im medialen Kuddelmuddel andere geografische Koordinaten dazugesellen. So weit, so alltäglich, so die Wirrnis vorwärts treibend.

Doch Herr Bang schiebt gerade jene Konflikte beiseite. Sie grämen ihn zwar wirklich, aber was seine Stimmung spürbar aushöhlt, sagt er, sei diese Vorhersage am Freitag gewesen: „Bis zur Monatsmitte dürfte sich an dem insgesamt nasskalten Schmuddelwetter nur wenig ändern.“ Er grollt oder schmollt des Schmuddels wegen, es mangelt an Licht, zumal die Sonne im Januar selten hervorlugte. Zu dieser Art Trübsinn muss die Einbildungskraft nichts beitragen.

Ich wies Herrn Bang auf den Satz hin, der prompt auf den unbehaglichen Ausdruck vom „Schmuddelwetter“ folgte: „Immer wieder nehmen Wetterfronten Kurs auf Mitteleuropa.“ Man ergänze, sagte ich, dass eines Tages womöglich nicht Wetterfronten Kurs auf Mitteleuropa nehmen, sondern so viele verelendete Menschen, dass die Festung namens Europa nicht mehr standhält. Mir gefiel diese Vorstellung, Herr Bang atmete durch.

Zweierlei Stories warf ich kurzerhand auf die hirneigene Leinwand. Sie schlummern seit Jahren in meiner Schublade für imaginäre Filmdrehbücher: Da schippern dicht besetzte Flüchtlingsboote übers Mittelmeer, stranden an der Küste einer Balearen-Insel. Ausgemergelte Schwarzafrikaner treffen auf Urlauber, die sich inbrünstig bräunen lassen. Ist wahrhaftig geschehen. Diesmal aber erwecken die Flüchtlinge Solidarität seitens einiger Feriengäste, die via Twitter, Facebook, Smart Mob etc. einen Tumult hervorrufen. Bald liegt die Tourismus-Branche am Mittelmeer darnieder.

Während ich die ersten Szenen drehte und wendete, war die zweite Geschichte entrückt. Herr Bang indes wollte die ergänzten „Wetterfronten“ nicht einsam stehen lassen. Er deutete zaghaft auf Frau Sommer, die am Nebentisch saß und die er insgeheim und bedingungslos verehrt. Kann man eine Liebe erklären? Diese schon, das begriff ich nun nach Herrn Bangs meteorologischem Exkurs. Wer so empfindsam ist, dass ihn das triste Wetter darnieder wirft, den rettet eine Frau Sommer.

Was ich Herrn Bang verschwieg: Vor fast drei Jahrzehnten hätte ich eine Frau Sommer beinahe angehimmelt, als unsere Wege sich kreuzten. Ich begegnete leibhaftig Xenia Katzenstein, die jene Frau Sommer in den Werbespots für Jacobs Krönung gespielt hatte. Sie arbeitete als Ausstatterin bei den Dreharbeiten zum Spielfilm „Verführung: Die grausame Frau“ im Hamburger Freihafen, ich dort als Helfer im Kulissenbau. Doch es sollte nicht sein: Amor, der Liebesgott, ignorierte uns grausam, was vielleicht dem Altersunterschied anzulasten war.

Und wo waren wir stehen geblieben, Herr Bang und ich? Gewissermaßen zwischen Mali, der Festung Europa und dem Hamburger Hafen, dessen Freizone zum 1. Januar vollständig aufgehoben worden ist. Ahoi!