Fiktive Soldaten halten Kongos Generäle reich

UN-Sicherheitsrat kritisiert: Die Armeereform im Kongo kommt nicht voran. Ein Mechanismus zur Veruntreuung des Militärhaushalts blockiert jeden Fortschritt und sorgt zugleich dafür, dass die einfache Truppe kein Geld kriegt

Ein Kommandant schickte Häftlinge statt Soldaten ins neue Armeezentrum

BRÜSSEL taz ■ Seit über zwei Jahren sitzen die einstigen Kriegsparteien der Demokratischen Republik Kongo nun gemeinsam in einer Regierung, und noch immer haben sie ihre Truppen nicht in einer neuen Armee verschmolzen. Der UN-Sicherheitsrat hat dies auf seiner am Wochenende beendeten Reise durch das Afrika der Großen Seen zum wiederholten Male beanstandet . Denn ohne eine geeinte Armee stellt sich im Kongo niemand irregulären Milizen entgegen, und das Risiko neuer Gewalt schwebt über der Vorbereitung freier Wahlen, die mit einem Verfassungsreferendum am 18. Dezember beginnen sollen.

Das Hauptproblem, so Diplomaten, ist Korruption. 340.000 Soldaten der unterschiedlichen Kriegsparteien sollen in die neue geeinte Armee FARDC (Streitkräfte der Demokratischen Republik Kongo) eintreten und dort entweder weitergebildet oder demobilisiert werden. Doch der FARDC-Generalstab, der Kongos verschiedene Bürgerkriegsgeneräle vereint, gibt zu, dass nur 200.000 dieser Soldaten tatsächlich existieren – nach Angaben von südafrikanischen Armeeberatern sind es sogar nur 140.000. Das Militärbudget sieht Soldzahlungen für 340.000 Mann vor, und dafür fließen auch jeden Monat 8 Millionen Dollar aus den Kassen der Zentralbank an den Generalstab. Das Geld landet dann aber bei hohen Generälen und Offizieren.

Sogar die Soldaten, die wirklich existieren, kriegen davon kaum etwas zu sehen. Ihr Sold von 10 US-Dollar im Monat bleibt bei den Kommandeuren hängen – ebenso wie Gelder zum Kauf von Nahrung, Medikamenten und Treibstoffen für die Truppe. Alle Einkäufe für das Militär werden zentral in Kinshasa getätigt - weswegen der Generalstab zum Beispiel Bohnen in der Ostprovinz Nordkivu kauft, sie 2.000 Kilometer quer durch das Land in die Hauptstadt Kinshasa fliegt und dann wieder an die FARDC-Einheiten in Nordkivu zurückfliegt.

Die immer zahlreicheren Berater aus Südafrika, Angola, Belgien und den Niederlanden bei Kongos Militär sind dagegen machtlos. Die EU schlug im August vor, das Geld in Zukunft nicht den Generälen zu geben, sondern unter Aufsicht von EU-Offizieren direkt an die Truppe zu verteilen. Der Plan schmort nun auf dem Schreibtisch von Kongos Staatschef Joseph Kabila.

So geht der Armeeaufbau im alten Trott weiter. Die Idee ist, dass nacheinander immer mehr Armeezentren in unterschiedlichen Landesteilen geöffnet werden, in die die einstigen Kriegsherren ihre Soldaten aus der Gegend schicken. Dadurch entstehen „geeinte Brigaden“ der FARDC. Sechs solcher Armeezentren mit sechs Brigaden gibt es bisher; bis zu den Wahlen Mitte 2006 sollen es 18 werden. Doch nach EU-Militärangaben tauchen nur 10 bis 20 Prozent der vorgesehenen Soldaten in den Armeezentren auf.

Als Gründe werden meist Transportprobleme genannt. In Wahrheit halten manche Kommandeure ihre verlässlicheren Soldaten zurück – einer in der Stadt Beni im Osten des Landes schickte sogar Häftlinge statt Soldaten ins Armeezentrum. Und wenn sie dort ankommen, kriegen sie wegen der Korruption kein Geld und desertieren wieder. „Wir schöpfen Wasser mit einem Sieb“, klagt ein EU-Verantwortlicher.

Der EU-Plan würde die Probleme der Armeereform jedoch nicht lösen, meint ein kongolesischer Berater. „Heute kriegt ein General offiziell 70 Dollar im Monat“, erklärt er. „Wenn man nun dafür sorgt, dass er die Armeegelder nicht selbst einstecken kann und dafür fiktive Soldaten aus den Soldlisten ausschließt, kriegt er vielleicht das Doppelte. Aber er braucht im Monat 5.000 Dollar für seine vier Frauen und deren Kinder, seine Villa, seine zwei Mercedes-Limousinen und seine zwei Luxus-Geländewagen. Er kann seinen Lebensstandard nur halten, indem er die Reform blockiert.“

FRANÇOIS MISSER