„Jeder kennt Krisen“

SELBSTHILFE Die Irrtu(r)m-Redaktion stellt ihr 21. Buch über das Leben mit psychischen Erkrankungen vor

■ ist Sozialpädagogin und Koordinatorin des Irrtu(r)m-Buches.

taz: Frau Albrecht-Ross, muss man Psychiatrie-Erfahrung nachweisen, um in der Irrturm-Redaktion mitarbeiten oder Beiträge einreichen zu dürfen?

Betty Albrecht-Ross: Nein! Unser Anliegen ist nicht, Leute zu outen, sondern wir betreiben Öffentlichkeitsarbeit, um das Stigma, mit dem psychiatrieerfahrene Menschen behaftet sind, aufzuweichen. Mittlerweile arbeiten bei uns viele Angehörige mit, das war früher anders.

Wie denn?

Der Irrturm ist entstanden nach der Auflösung der psychiatrischen Anstalt Blankenburg vor 25 Jahren. Das Buch sollte ein Sprachrohr sein für Menschen, die dort 20 bis 30 Jahre kaserniert waren, sie sollten ohne Maulfesseln sprechen können. Gleichzeitig wollte man den Anwohnern die Angst nehmen vor den Leuten, die da jetzt in ihre Nachbarschaft zogen.

Aber ist das ein Sprachrohr nur für Menschen, die Psychosen hatten oder auch für solche, die Depressionen kennen?

Wir haben Leute dabei, die noch nie in der Psychiatrie waren und solche ohne offizielle Diagnose. Andere nehmen Psychopharmaka und brauchen viel Unterstützung im Alltag.

Können Menschen, die so etwas nicht kennen, nachvollziehen, was psychisch Kranke erleben?

Ja, weil es kaum jemand gibt, der noch nie eine seelische Krise hatte. Das merken wir, wenn wir in Schulklassen gehen. Am Anfang gibt es eine große Distanz, nach dem Motto: Jetzt kommen die Psychos. Später stellt sich im Gespräch heraus, dass fast alle die Psychiatrie kennen, weil sie selbst dort waren, Verwandte oder Freunde. Aber man redet eben offen nicht darüber.Interview: eib

Irrturm Nr. 21 „Ja zu mir, ja zum Leben“. ☎ 3964808, irrturm@izsr.de