piwik no script img

Kolumne GerüchteGoldene Herbstblätter im Überfluss

Wenn der Bekanntenkreis verarmt - soll man dann Hartz-IV-FreundInnen unterstützen ? Tja, meint Theresa.

An jenem schönen Herbsttag wollte ich eigentlich über etwas anderes reden als über Geld. Das ist derzeit nicht so einfach. Die betuchteren Leute in meinem Bekanntenkreis jammern. Die DAX-Kurve! Mein armes Depot! Verkaufen oder nicht? Tja. Bine hingegen spricht nicht so gerne über Geld. Bei 351 Euro im Monat gibt es da nicht so viel zu bereden. Könnte man meinen. Aber das stimmt nun auch wieder nicht. Bine hat zwar kein Problem mit dem DAX. Aber mit ihrer kaputten Waschmaschine. Das beschäftigt nun auch ihre Freundin Theresa.

Barbara Dribbusch ist taz-Redakteurin im Ressort Inland.

"Eine Waschmaschine", sagt Theresa, "eine Waschmaschine braucht man einfach. Wenn Bine nun ins Waschcenter rennen müsste, das kostet doch irres Geld. Kann man nicht mit ansehen". Wir wandern den Hellsee entlang, kein Mensch außer uns ist an diesem nebligen Sonnabend unterwegs. Das Laub liegt in dicken Schichten auf dem Weg. Wir pflügen durch die Blätter. Wie schafft es die Natur nur immer, diese dicken goldenen Laubschichten über den Winter hinweg in fruchtbaren schwarzen Waldboden zu verwandeln, ohne dass jemand fegt? Aber die Goldfärbung soll Teil eines zerstörerischen Prozesses sein, habe ich gelesen.

"150 Euro leihen!" sagt Theresa, "das wäre doch geschummelt. Geld leihen. einer 54 jährigen Hartz-IV-Empfängerin. Die kann das doch nie zurückzahlen, außer sie fängt an zu hungern. Aber Geld ,verschenken', klingt nun mal bescheuert, für alle Beteiligten".

Mir ist das Problem mit der Geldleiherei nicht neu, denn es existiert in manchen sozialen Netzwerken der Mittelschicht, in denen Menschen mit guten Jobs, erarbeitetem oder ererbtem Vermögen, nach wie vor verbunden sind mit FreundInnen, die Pech in ihrem Leben hatten, vielleicht zuwenig oder die falschen Entscheidungen trafen und nun von Hartz-IV leben müssen. In Familien, da ist es wohl üblich, dass man sich gegenseitig auch materiell unterstützt. Aber in Freundschaften, in "Wahlfamilien"? Da ist die Sache nicht geklärt. Oft gehen diese Freundschaften stillschweigend auseinander. Manchmal aber auch nicht.

"Bine hat klar gesagt, sie will kein Almosen. Aber als ich neulich gesehen habe, wie die von Hand ihre Klamotten wäscht. Wo leben wir eigentlich?" Theresa ist sauer. Irgendwie auch auf Bine. Hätte Bine nicht damals den Job in der Altenhilfe annehmen sollen, als weiter in dieser brotlosen Band zu spielen? Ist sie nicht selbst daran schuld, dass sie sich jetzt keine Waschmaschine leisten kann, dass sie fast nie essen gehen kann, dass sie keinen E-Mail-Anschluss hat und kein Geld für eine Zugfahrt, um mal herauszukommen aus der Stadt? Oder sind wir schuld, weil es uns besser geht? Ich bin nicht so eng mit Bine befreundet wie Theresa. Zum Glück. Aber schon der Gedanke daran ist auch wieder Mist.

Der Nebel über dem Hellsee hat sich immer noch nicht aufgelöst. Im Nebel trifft man meist nur wenige Spaziergänger. Dabei hat er sowas Märchenhaftes. Trübes Wetter kann auch schön sein.

"Weißt du, ich frage mich, warum ich mich überhaupt verantwortlich fühlen soll?" sagt Theresa, "ich meine, kann ich was dafür, dass Bines Mutter das ganze Geld im Pflegeheim verbraucht hat und ihr nichts hinterlassen hat ? Okay, ich bin besser dran. Aber deswegen bin ich doch nicht zuständig."

Ich sage nichts. Soweit ich weiß, hat Bine nie eine gehässige Bemerkung über ihre betuchteren Freundinnen gemacht. Was ja auch eine Leistung ist. Allerdings ist mir aufgefallen, dass fast alle ihre neueren Bekanntschaften auch Hartz-IV-Fälle sind.

"Vielleicht als Weihnachtsgeschenk könntest du die Sache verpacken", schlage ich vor, "gib` ihr einfach einen Teil des Geldes für die Waschmaschine als Weihnachtsgeschenk. Naja, als vorgezogenes Geschenk. Und gebrauchte Waschmaschinen gibt es vielleicht auch billiger. Schon für 80 Euro oder so, glaube ich. " Irgendwie bin ich froh, dass Bine uns jetzt nicht hört. Obwohl wir auch nichts dafür können, dass Hartz IV nicht reicht. Es gibt einfach noch keine sozialen Codes, wie mit Altersarmut umzugehen ist. Unter FreundInnen, jedenfalls.

Das Laub raschelt, als wir durch die goldgelbe Masse stapfen. So ein Überfluss. Schade, dass man aus den bunten Blättern sowenig machen kann. Aber jetzt müssen wir auf den Weg achten. Bei dem Wetter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!