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Ärger wegen fallender MilchpreiseVolkstümliche Bauernproteste

Weil er für die fallenden Milchpreise verantwortlich sein soll, wird Bauernverbandspräsident Gerd Sonnleitner von der bayerischen Basis an den Pranger gestellt.

Auf Sonnleitners Hof in Ruhrstorf haben sich 150 Getreue für eine Gegendemonstration getroffen. Bild: dpa

Anton Prechtl, dunkle Hut, rußiges Gesicht, steht auf einer Milchkanne und hält einen Galgen in seiner rechten Hand, in der linken ein Blatt Papier voller anklagender Verse. "Die Bauern hast du billig verkauft", ruft Prechtl in die Menge, "dass alles in den Ruin einlauft. Ist das wahr?" Und 2.000 aufgebrachte Milchbauern mit rußgefärbten Gesichtern und Fackeln in der Hand schreien "Ja!"

Es ist Samstagabend im niederbayerischen Ruhstorf bei Passau. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) hat Bayerns Milchbauern zum Protest gegen den Bauernverbandspräsidenten Gerd Sonnleitner aufgerufen. Und hat sich für eine besonders altertümliche Form des Aufstands entschieden: das Haberfeldtreiben. Auf die Art machte sich in bayerischen Dörfern vor allem im 18. Jahrhundert gelegentlich der Volkszorn Luft. Mit durch Ruß unkenntlich gemachten Gesichtern zogen die Dorfbewohner in der Nacht zum Haus eines vermeintlichen Untäters und prangerten öffentlich seine Verfehlungen an. Manchmal wurden dabei die Machthaber für ihre Verfehlungen angeklagt, meist aber nur die Mütter unehelicher Kinder und andere Außenseiter der Dorfgemeinschaft gemobbt. Deshalb wurde die bayerisch-rustikale Form der Hexenjagd auch im 19. Jahrhundert verboten.

"Das Haberfeldtreiben war schon immer als hinterhältig und gemein verschrien", empört sich der an den Pranger gestellte Bauernpräsident Sonnleitner. Auf seinem Hof in Ruhrstorf haben sich 150 Getreue für eine Gegendemonstration getroffen. In der Hand haben sie Transparente mit Aufschriften wie "Gerd - wir stehen zu dir". An diesem Abend präsentieren sich Bayerns Bauern tief gespalten.

Der Auslöser für den Streit: Die Milchpreise fallen weiter. Und der Bundesrat hat ein Programm zur Senkung der deutschen Milchproduktion abgelehnt, das erst im Sommer auf einem Milchgipfel zwischen Industrie, Bauern und Bundesregierung vereinbart worden war. Die Bauern werfen nun Sonnleitner vor, er habe im Hintergrund die Politik beeinflusst, gegen das Preisstützungsprogramm zu stimmen. Der deutsche Bauernverband schickte tatsächlich an einige Politiker ein Argumentationspapier, das die Forderungen der Milchbauern kritisiert. Der Verband ist dagegen, die landwirtschaftliche Produktion zu drosseln. Er sieht das Problem eher auf der Nachfrageseite. "Wir müssen den Verzehr wieder ankurbeln", sagt Sonnleitner auch am Samstag auf seinem Hof.

Der erneute Protest der Milchbauern ist auch eine kleine Niederlage für den neuen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Er hatte als Bundeslandwirtschaftsminister öffentlichkeitswirksam den Milchgipfel zur Preisstabilisierung organisiert. Auch nach dem Scheitern im Bundesrat könnten sich die Milchbauern absolut auf ihn verlassen, sagte Seehofer der Passauer Neuen Presse. Noch vertrauen die Milchbauern offenbar Seehofer und konzentrieren ihren Zorn ganz auf den Präsidenten des Bauernverbands. Einzig über die Wahl der Mittel ist man uneins. Der Bundesverband deutscher Milchviehhalter teilte mit, dass er das Haberfeldtreiben in keiner Weise unterstütze. Sonnleitner sei aber sehr wohl für das Scheitern im Bundesrat verantwortlich. Der habe intensive Lobbyarbeit betrieben.

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1 Kommentar

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  • GK
    Georg Keckl

    Sehr geehrte Damen und Herren,

     

    in Ihrem Artikel verdrehen Sie Geschichte etwas. Auch wenn Herr Seehofer den Milchgipfel als "Weichenstellung für höhere Milchpreise" dargestellt hat, müssen Sie doch nicht, wie viele andere, darauf reinfallen. Aber vielleicht wollten Sie darauf reinfallen? Weiter ließ Minister Seehofer damals unklar verkünden: "Die Länder wollen im Herbst Verordnungen mit dem Ziel einer Mengensenkung verabschieden."

     

    Sie schreiben in Ihrem Artikel: "Und der Bundesrat hat ein Programm zur Senkung der deutschen Milchproduktion abgelehnt, das erst im Sommer auf einem Milchgipfel zwischen Industrie, Bauern und Bundesregierung vereinbart worden war."

     

    Vereinbart worden ist die Prüfung dieser Maßnahmen. Dabei war klar, dass weder die Länder, noch der DBV diese wollten, dieser Passus war nur zähnekirschend und Faust-in-Hose-ballend für Seehofers CSU-Landtagswahlkampf durchgegangen.

     

    Pressestimmen: 29.7.2008, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ): "Politisches Placebo" und "Das Wort und der Ort des Treffens in der bayerischen Landesvertretung zeigen, wo den Minister der Schuh drückt: Er muss vor der Wahl in Bayern die aufmüpfigen Milchbauern im Alpenvorland besänftigen, damit diese nicht die CSU für die niedrigen Preise haftbar machen."

     

    Während top-agrar am 30.7.2008 noch meldete, der DBV wolle: "Die kurzfristig anstehenden Entscheidungen bzw. Prüfaufträge zur Saldierung, zum Umrechnungsfaktor und zu den Quotenhandelsgebieten jeweils auf ihre Vor- und Nachteile für die deutschen Milchbauern objektiv prüfen. " und dies mit der Überschrift versah: "DBV fordert rasche Umsetzung von Seehofers Konzept", hatte Herr Seehofer die Ergebnisse des Gipfels selbstherrlich schon uminterpretiert und das Konzept klang nun ganz anders, als ob die Runde Milchpreise und die EU hätte lenken können, eines das bestens nach Bayern paßte. So ein Preis-Erhöhungs-Konzept hätte nie beschlossen werden können, wenn man sich an die Möglichkeiten gehalten hätte, ist auch nicht beschlossen worden. Alle Argumente waren nach Bedarf gekürzt und zurechtgestutzt. Gegenargumente fielen unter den Tisch der Regierungserklärung. Der Text war so hochtrabend und manipulatorisch, dass Zeitungen, besonders in Bayern, drauf rein fielen. Zumal kleinere Zeitung in Bayern ungern was gegen die CSU schreiben.

     

    Die Zeitungen schrieben nun alle: "Der Milchgipfel hat beschlossen" etc. - was nur Prüfaufträge (!!) waren. Den Ländern wurde Zustimmung einfach unterstellt. Der DBV konnte sich nicht scharf wehren, da man wieder Probleme mit dem BBV, dem mächtigen Herrn Seehofer und den wahltaktischen Rücksichtnahmen bekommen würde und die CDU-Minister hielten wütend die Klappe, auch wegen des Wahlkampfes in Bayern. Der DBV hat seine Linie nicht geändert, hat sie durchgehalten, auch gegen Herrn Seehofers Verdrehungen. Herr Seehofer hat die missliche Lage mit den dreisten Behauptungen verursacht.

     

    Herr Seehofer hatte sich als Held hingestellt und Ergebnisse verkündet, die es gar nicht gab. Ich nehme an, dass es deswegen nun nicht mal eine Molkereisaldierung oder die Korrektur des Umrechnungsfaktors gab, die Prüfaufträge wurden im Ärger etwas genauer genommen als unbedingt nötig. Der BBV, BDM, AbL&Co - freuten sich, dass Herr Seehofer die Nordländer so über den Löffel balbiert hat, als ob sie alle alte zahnlose Männer wären (Redensart: Die Barbiere -Frisöre- steckten älteren, zahnlosen Männern mit eingefallenen Wangen einen Löffel in den Mund, um die zum Rasieren nötige Rundung zu erzeugen).

     

    Die AbL und der DBM kennen die Zusammenhänge. Die AbL überzieht nun gewaltig und weiß, dass seine Argumente nur auf Stammtischparolen begründet sind, nicht auf den wahren Begebenheit. Das wird der AbL schaden. Sie verschleiert sehr geschickt, was sie wirklich mit der Landwirtschaft vor hat, die kalte Zwangs-Ökologisierung über die Vorschriften.

     

    Auf dem Milchgipfel wurde von Herr Sonnleiner nichts von dem versprochen, gegen dessen Bruch jetzt dieses Haberfeldtreiben stattfindet. Das der DVB und der BBV andere Schwerpunkte setzen, ist was anderes. Ich bin ja nun kein Anhänger von Herr Sonnleitner, aber der Fairness halber muß das gesagt werden. Die Probleme liegen in den inhaltlichen Differenzen aller Landes-Bauernverbände mit dem BBV, das ist der Spagat, der so unschön aussieht, Spöttern und Kritiker Steilvorlagen liefert. Andererseits: Hätte der BBV denn nun schon Besseres? - bzw. käme es ohne Herr Sonnleitner evtl. schlimmer- d.h. würde sich dann der BBV noch mehr von den anderen Landesverbänden entfernen?

     

    Der sehr schöne Fernsehfilm "Sachrang - Eine Chronik aus den Bergen" nach dem Roman " Der Müllner Peter von Sachrang" von Carl Oskar Renner enthielt eine Spielszene mit Haberfeldtreiben. Hätte nicht gedacht, dass jemals jemand wieder auf so dumme Gedanken kommen kann.

     

    Grüße: Georg Keckl