Pisa-Studie und Chancengleichheit: Bildung in Bayern gerechter?

Laut aktueller Pisa-Studie haben Arbeiterkinder in Bayern bessere Bildungschancen. Und das gerade im strikt dreigliedrigen Schulsystem. Ein Nebeneffekt des Turbo-Gymnasiums.

Qualitativ neuerdings nur noch Nummer zwei: Unterricht in Bayern. Bild: dpa

Die Kritiker bayerischer Bildungspolitik werden durch die PISA-Studie eines Besseren belehrt: Das streng dreigliedrige System bringt nicht nur gescheite Schüler hervor, es wird auch immer gerechter. Die Chancen eines Facharbeiterkindes, das Gymnasium zu besuchen haben, sich etwa deutlich verbessert: Bei gleichen Leseleistungen hatten Kinder von führenden Angestellten, höheren Beamten oder Professoren im Jahr 2000 noch sechs mal bessere Chancen das Gymnasium zu besuchen als Facharbeiterkinder. Sechs Jahre war der Chancenvorsprung nur noch dreimal so groß.

Damit steht Bayern in punkto Chancengleichheit ähnlich gut da wie Sachsen. Das Ost-Bundesland hat Bayern im dritten Pisa-Bundesländervergleich die Spitzenposition abgejagt - in allen drei Pisa-Disziplinen Mathe, Lesen und Naturwissenschaften.

Bayern hält als eines der letzten Bundesländer eisern am dreigliedrigen Schulsystem fest. Wie kommt es, dass Kinder aus unteren Sozialschichten plötzlich bessere Chancen? Im Kultusministerium kann man sich den Effekt nicht recht erklären. An den Regelungen, die für den Übertritt von der Grundschule ans Gymnasium gelten, könne es ja nicht liegen, sagt eine Sprecherin. Diese haben sich seit der ersten PISA-Studie von 2001 nicht geändert. Nach der vierten Klasse bekommen nur SchülerInnen, deren Zensuren in Mathe, Deutsch und Sachkunde besser als 2,3 sind, das Ticket fürs Gymnasium. Und: Nach wie vor sind nur acht Prozent der Gymnasiasten Kinder von un- und angelernten Arbeitern - die deutschlandweit niedrigste Quote.

Bereits vor drei Jahren habe das Ministerium daher begonnen, Eltern von schlauen Kindern gezielt zu beraten, um gerade unteren Schichten das Gymnasium schmackhaft zu machen, berichtet die Sprecherin. Zudem habe Bayern die Sprachförderung vor und während der Grundschule intensiviert.

"Frühe Sprachförderung kann sich positiv auf die Chancengleichheit auswirken", bestätigt Rita Nikolai. Die Bildungsforscherin leitet eine Arbeitsgruppe am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin. Gesichert sei der Zusammenhang aber nicht. Da Pisa eine Momentaufnahme sei, wäre es nicht möglich, direkte Zusammenhänge zwischen bildungspolitischen Maßnahmen und der Entwicklung von Schülerkompetenzen herzustellen, sagt Nikolai. Solche Erklärungen könnten nur Längsschnittstudien liefern, also die längere Beobachtung eines Jahrgangs. Diese Studien gibt es nicht für Deutschland.

Klaus Wenzel vom Bayerischen LehrerInnenverband (BLLV) vermutet, dass die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre der Hauptgrund für das soziale Wunder in Bayern ist. "Durch die Einführung des achtjährigen Gymnasiums verringert sich kurioserweise die Wiederholerquote", berichtet Wenzel. Der Grund: An den Schulen lernen die einen nach dem alten System, es rücken jedoch die G8-Schüler nach. In diesem Schuljahr brauchen die Zehntklässler 13 Jahre bis zum Abi, die Klassen darunter nur 12. Erstere dürfen jetzt nicht sitzen bleiben, erklärt Wenzel - "denn die G8-Klassen haben andere Lehrpläne. Die Politiker wüssten schlicht nicht wohin mit den Sitzenbleibern."

Die Statistik bestätigt Wenzel. Vom letzten Jahrgang des neunjährigen Gymnasiums blieben im Schujahr 2007 4,5 Prozent nach der neunten Klasse sitzen. 2006 mussten 7 Prozent der Neuntklässler die Klasse wiederholen. "Unter den Schülern heißt es schon: Uns kann nichts passieren", sagt Wenzel. Von der geringeren Auslese profitierten vor allem Schüler aus Haushalten, deren Eltern wenig Geld für private Nachhilfe hätten. Leider endet das Phänomen, sobald die letzte 13. Klasse das Gymnasium verlassen hat.

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