Kleistpreis für Max Goldt: Höflich zubeißen
Max Goldt wurde der Kleistpreis verliehen. Der Laudator Daniel Kehlmann lobte den Autor als Meister der Sprache. Goldts Kunst besteht darin, das Misstönende ins Komische zu transportieren.
Manchmal staunt man schon, was so alles zusammenpassen soll in unserer schönen Berliner Republik. Zum Beispiel knattermimischer Kleist-Vortrag und versierte Lesebühnen-Eleganz; das unter Peymann restlos verspießerte Berliner Ensemble und die immerwachen Antispießer von der Titanic; Scherz, Satire und tiefere Bedeutung; Superlativ und Understatement; nicht zuletzt: Essig und Gurk.
Das alles und noch viel mehr kam zusammen, als am Sonntag Max Goldt den Kleistpreis erhielt. Eingelegt waren (Hermann) Essig und (Paul) Gurk in seine Dankesrede, als nicht nur ihm komplett unbekannte Kleistpreisträgervorgänger. Auch die Hitler-Verehrerin Agnes Miegel ließ er nicht unerwähnt, wollte aber, besten Willens, kein Hakenkreuz, sondern in ihr nur die Lieblingslyrikerin einer ostpreußischen Großtante erkennen. Dieses ganze zur Feierstunde zusammengerührte Durcheinander der Tonlagen passte einerseits nicht einmal schlecht zum Preisträger Goldt. Denn auch der ist ja nun ein Zusammenbringer des Heterogenen vor dem Herrn.
Andererseits kommen bei ihm die Dinge doch etwas anders zusammen als in unserem so fröhlich wie besinnungslos noch die schärfsten Einsprüche beklatschenden Kultur- und Gesellschaftsnormalbetrieb. In Goldts Texten nämlich darf, was sich beißt, sich auch beißen. Er stellt das Tolle neben das Schöne, das Hässliche neben das Ziselierte, das Verkommene neben das Noble und vertraut sehr zu Recht darauf, dass seine Sprache die Widersprüche der Dinge dann schon zum Ausdruck bringt. Das tut sie und zum Schein nur mit Milde. Dieses Scheins wegen kann man Max Goldt leicht missverstehen, der gerne zubeißt und auch in seiner Dankesrede zubiss, nur tut er das immer und tat ers auch diesmal so höflich. Es ist ja sehr eigentümlich und ein wenig bedenklich, dass manchmal die Leute, die Goldt so verflixt manierlich zu schurigeln versteht, dabei noch schnurren, als würden sie zärtlich gestreichelt. Vor diesem fatalen Schmunzelkonsens warnte der Dankesredner Goldt selbst, der die Uneigentlichkeitsecke, in die man die Satiriker gerne stellt, nur zu gut kennt - und das Hineingestelltwerden beharrlich verweigert.
Seine Lobredner Günter Blamberger (Vorsitzender der Kleist-Gesellschaft) und Daniel Kehlmann (der als Vertrauensmann der Jury den Preisträger erwählte) waren darum zunächst einmal eifrig bemüht, den Autor Max Goldt vor allem ex negativo zu porträtieren. Ein Satiriker ist er nicht und auch kein Alltagsbeobachter. Er spießt nichts auf und er nimmt nichts humoristisch. Was ist er dann, darf man fragen, und beide, Kehlmann wie Blamberger, gaben die zutreffende Antwort: ein Meister der Sprache vor allem. Einer, der das absolute Gehör und das absolute Auge hat für die Töne von Mensch, Ding und Natur. Für die Misstöne vor allem, die ins Zwischenmenschliche sich schleichen. Die große Kunst von Max Goldt besteht dann darin, das Misstönende ins Komische zu transponieren.
Das gelingt, indem er seitlich vorbeigeht an den Schrecken der Gegenwart. Programmatisch las er bei der Verleihung aus seinem Weihnachtsmarkt-Text, der dann auch dem Buch "Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens" den Titel gab. Die Schwäche der aufs Haarfeine kalibrierten Goldt-Sprach-Kunst ist damit aber auch schon benannt. Sie nähert sich selbst Verhältnissen, denen ein beherzter Hieb mit dem Hackebeil nicht schadete, mit der Rasierklinge. Sie wird niemals frontal, sie geht, bei aller Bösartigkeit, wirklich immer an der Seite vorbei.
Die größte Gefahr freilich lauert da, wo seine Kritik positiv zu werden droht. Dann nämlich stürzen sich die Wertkonservativen drauf und wollen, was der Autor nicht festlegen will, als gültige Regel, Vorschrift und Moral begreifen. Als käme es auf die gefällten Urteile an und nicht auf die Fähigkeit, sie hellwach je für den Moment aus eigener Urteilskraft im Angesicht aktueller Sprachsituationen zu fällen.
Max Goldt selbst wehrt diese Umarmungen von neobürgerlicher Seite nicht immer ab. Man kann in den Texten des unbedingt verehrenswerten Autors selbst aber jederzeit lernen, auch denen zu misstrauen, die ihn verehren, und sogar denen noch, die ihm bedeutende Preise verleihen.
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