So viel Abschied war nie

Abgang auf sozialdemokratisch: Gerhard Schröder scheidet ohne Pathos, aber voll Rührung

„Wir danken dir von ganzem Herzen. Bleib präsent!“ Da weint die sozialdemokratische Seele

aus Karlsruhe JENS KÖNIG

Im Abschiednehmen waren die Sozialdemokraten immer schon gut. Die SPD ist eben eine sentimentale Partei, eine mit Tradition und Herzschmerz, mit Fahnenschwingen und Liedersingen. Da hält dieser Parteitag für gestandene Sozis genau das Richtige bereit: den Rückzug der beiden Männer, die die SPD in den letzten Jahren uneingeschränkt beherrscht haben. Etwas fürs Gemüt also. Ein Schauspiel mit Gerd und Franz, das den Genossen das Gefühl vermittelt, in der richtigen Partei zu sein. Emotionen dieser Art sind für Sozialdemokraten in diesen Tagen ja nicht gerade billig zu bekommen.

Dieser doppelte Abgang wird zwangsläufig von einer bizarren Dramaturgie beherrscht. Erster Akt: Müntefering verabschiedet Schröder als Kanzler. Zweiter Akt: Müntefering verabschiedet Müntefering als Parteichef. Dritter Akt: Schröder verabschiedet Müntefering als Parteichef. Vierter Akt: Schröder verabschiedet Schröder als Kanzler. Dazwischen Jubel, Tränen, Heiterkeit und ein Werbeclip über den gewesenen Kanzler, von dem Bärbel Dieckmann, die designierte stellvertretende Parteivorsitzende, in bestem Sozialdemokratendeutsch behauptet, der Film sage mehr als tausend Worte.

Nun ja, das tut er natürlich nicht, und so wird zum Abschied geredet, was das Zeug hält. Müntefering reiht beim Thema „Gerd und Partei“ einen kurzen Satz an den anderen. „SPD und Gerhard Schröder, das gehört zusammen“, sagt er. „Das ist eins.“ Und: „Lieber Gerd, du hast es mit der SPD nicht immer leicht gehabt. Und die Partei nicht mit dir.“ Doch dann zählt der Nochparteivorsitzende auf, was bleiben wird: die Agenda 2010 und die Entwicklung Deutschlands zu einer selbstbewussten Friedensmacht, einschließlich des Neins zum Irakkrieg. Müntefering dankt Schröder für dessen Einsatz bei den Koalitionsverhandlungen. Und er lässt nicht unerwähnt, dass der Kanzler seiner Nachfolgerin viel Erfolg gewünscht habe. Diese Geste zeuge von „menschlicher Größe“. Müntes knappes Resümee: „Wir danken dir von Herzen. Bleib präsent.“

Da weint die sozialdemokratische Seele. Der ganze Saal erhebt sich. Schröder tritt an die Rampe und beugt seinen Kopf kurz nach vorn. Ein Diener vor seiner Partei – das hatte in seiner langen Karriere wirklich Seltenheitswert. In diesem Moment lassen ihn die Genossen nicht so schnell aus ihren Fängen. Sie klatschen. Sie jubeln. Schröder winkt zurück. So geht das minutenlang. Bild stoppt bestimmt die Zeit mit.

Aber Müntefering hat noch einen Job zu erledigen, er muss sich selbst in die Geschichte befördern. „Ich habe das Amt des Parteichefs nicht gesucht und mich nicht daran geklammert“, sagt er. Eine „schöne Zeit“ sei es gewesen, manchmal auch eine „heftige“. Bescheidener Wunsch des sauerländischen Asketen: Wenn im Geschichtsbuch der SPD hinter seinem Namen ein Ausrufezeichnen stehe und kein Fragezeichen, „dann reicht das“. Münte geht, und seine Partei liegt auch ihm zu Füßen.

Das gleiche Schauspiel jetzt noch einmal mit vertauschten Rollen. Schröder ist dran. Der alte Pragmatiker kommt gleich aufs Wesentliche. „Ich bitte um eure Zustimmung für die große Koalition.“ Und noch ein Wunsch: Der Parteitag möge Müntefering als Vizekanzler mit einem „überwältigenden Votum“ den Rücken stärken, denn nicht nur die SPD brauche Franz jetzt, sondern „das ganze Land“. Der Kanzler dankt seinem wichtigsten Helfer für dessen „Aufrichtigkeit, Gradlinigkeit, Verlässlichkeit“ und stellt ihn an die Seite der „großen Männer unserer Partei“, Bebel, Schumacher, Brandt und Vogel.

Da Schröder auch im Abgang nicht auf Pathos machen will, gibt er in seiner letzten Parteitagsrede als Kanzler der SPD eine politische Botschaft mit auf den Weg: Schluss mit der „Mikadopolitik“! Die große Koalition nicht als etwas „Aufgezwungenes“ empfinden! Über die eigenen Beschlüsse und Programme „hinausdenken“! Ganz am Ende dann doch ein bisschen Pathos. Sieben gute Jahre seien es gewesen, sagt Schröder, gut für das Land und gut für „unsere Sache“. Jetzt hält die Partei gar nichts mehr. Sie zerfließt förmlich vor Rührung.

Matthias Platzeck erhebt sich. Er hat kein Jackett mehr an. Seine Hemdsärmel sind schon aufgekrempelt.