Militärexperte zu Nato und Moskau: "Die Nato wird als Drohfaktor begriffen"

Der russische Militärexperte Wladimir Dworkin über das Verhältnis zwischen Moskau und Nato, den US-Raketenschirm sowie die Gefahr eines neuen Rüstungswettlaufs.

Hatte im August die Zusammenarbeit mit Moskau im Nato-Rußland-Rat vorerst gestoppt: Der französische Außenminister Bernard Kouchner. : DPA

taz: Herr Dworkin, die Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die Nato ist auch im Westen umstritten. Moskau stellt die Erweiterung dar, als sei Russlands Existenz direkt bedroht? Ist das nicht eine Überreaktion?

Wladimir Dworkin: Beider Mitgliedschaft ist in Russland eine heikle Angelegenheit. Mit der Ukraine arbeiten wir nach wie vor sehr eng im Rüstungsbereich zusammen. Das wäre mit einem Nato-Eintritt natürlich vorbei. Schmerzhafter ist für uns aber, dass Russland weder Teil des europäischen noch des nordatlantischen Sicherheitssystems ist. Diese Isolation sollte uns weit mehr beunruhigen als eine imaginäre Nato-Bedrohung.

Was hat Moskau durch den Blitzkrieg in Georgien gewonnen?

Der Waffengang hat niemandem genützt, denn es gibt weder Sieger noch Besiegte. Dafür war es in unserer Geschichte die erste militärische Auseinandersetzung mit Georgien und auch der erste bewaffnete Konflikt zwischen ehemaligen Sowjetrepubliken. Ich glaube aber, solch ein Szenario wird sich nicht wiederholen. Die Lektion hat gesessen.

Das Feindbild Nato ist noch immer wirkmächtig. Im Massenbewusstsein ist es genauso abrufbar wie in den Köpfen der politischen Elite …

Über 40 Jahre war die Nato Hauptfeind der UdSSR. So schnell ändert sich das Bewusstsein nicht. Das Verhältnis ist widersprüchlich. Im Russland-Nato-Rat arbeiten wir in über 20 Arbeitsgruppen zusammen. Bis zum Kaukasuskrieg haben wir gemeinsam Maßnahmen entworfen, die Verschiebung von verbotenen Waffen und Nuklearmaterial im Mittelmeer zu kontrollieren. Nebenher liefen Computerschulungen mit den USA und der Nato im Bereich der Raketenabwehr. Dennoch wird die Nato als Drohfaktor begriffen.

Präsident Dmitri Medwedjew überraschte neulich, als er den Eintritt Russlands in die Nato in fernerer Zukunft nicht mehr kategorisch ausschloss. Im selben Atemzug drohte er mit Iskander-Raketen im Gebiet Kaliningrad. Passt das zusammen?

Natürlich glaubt die militärische und politische Führung nicht an eine Bedrohung durch die Nato. Wo sind die unversöhnlichen Gegensätze? Es gibt sie nicht und keine Seite wäre zu einem nuklearen Schlagabtausch bereit. Ich vermute, diese Auslassungen richten sich eher nach innen an das heimische Publikum. Medwedjews Ankündigung, Iskander-Raketen zu stationieren, kam überdies zum falschen Zeitpunkt. Im Team des künftigen US-Präsidenten Obama sind vernünftige Leute. Derartige Äußerungen verengen die Möglichkeit einer rationalen Lösung.

Warum reagiert Russland auf den Raketenschirm so gereizt?

Die Reaktion ist verständlich. Die USA haben die Entscheidung des Abwehrschirms trotz der Vereinbarung über strategische Partnerschaft 2002, die von einer Kooperation in der Raketenabwehr ausgeht, ohne uns getroffen. Weder Russland noch andere Staaten sind im Bilde, wie die US-Pläne aussehen und ob nicht noch mehr Raketenabwehreinrichtungen geplant sind.

Nun wird weltweit spekuliert, es könnte zu einem neuen Rüstungswettlauf kommen …

Ausgeschlossen. Russlands Rüstungsetat umfasst 4 Prozent des amerikanischen, die Kaufkraft beträgt ein Zehntel. Jetzt kommt noch die Finanzkrise dazu.

Sind die Iskander-Raketen einsatzbereit?

Als Abschreckungswaffe ist die Iskander sehr effektiv. Im Kalten Krieg waren die konventionellen Kräfte der UdSSR denen der Nato zwei- bis dreimal über-, heute sind wir drei- bis viermal unterlegen. Daher verzichtet Russland in der Militärdoktrin nicht auf einen Einsatz von Nuklearwaffen. Militärisch macht die Dislozierung der Iskander im Kaliningrader Gebiet keinen Sinn, da sie nie zum Einsatz kämen.

Wird Obama die Raketenpläne ganz aufgeben?

Diese Entscheidung wurde unter dem Druck des früheren US-Verteidigungsministers Rumsfeld getroffen. Die Rüstungsindustrie wollte so schnell wie möglich die Aufstellung in Osteuropa irreversibel machen. Obama scheint die Fristen auf 2012 oder 2016 verschieben zu wollen. Ich halte die jüngsten Vorschläge Medwedjews, ein Abwehrsystem zu entwickeln, an dem EU, USA und Russland beteiligt sind, für sinnvoll. Das wäre eine Lösung im Sinne aller.

INTERVIEW: KLAUS-HELGE DONATH

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