Entwicklungshilfe für Schüler: Leben in Mosambik als Schulfach
Das Entwicklungspolitische Bildungs- und Informationszentrum füllt Lehrplanlücken: In einer neuen Serie unterrichten Zeitzeugen Schulklassen über Entwicklungsarbeit - persönlich und lebensnah.
Leise ist es in dieser Unterrichtsstunde im Humboldt-Gymnasium Tegel. Zwischen den Sätzen von Joaquim Mucavele hört man die Lampen surren, die Schüler der 13. Klasse und ihr Erdkundelehrer lauschen gebannt. Wer will auch schon Privatgespräche führen, wenn der Dozent persönliche Geschichten von Aids-infizierten Verwandten und verwirrten Stammesältesten erzählt?
Seit April dieses Jahres lädt das Entwicklungspolitische Bildungs- und Informationszentrum (Epiz) Referenten ins eigene Haus in Charlottenburg ein, um Schulklassen über Entwicklungsarbeit zu informieren. Mucavele ist ein Experte: Der 36-jährige Mosambiker hat an der HU Organisationssoziologie studiert und arbeitet in der mosambikischen Botschaft. Er kennt die Vor- und Nachteile der Entwicklungshilfe in seinem Heimatland.
Die Vorzüge der Entwicklungshilfe handelt er im Powerpoint-Vortrag schnell ab. Hier ein Foto von Horst Köhler bei der Gründung einer mosambikanischen Behindertenschule, dort zwei, drei Sätze zu Mikrokrediten für die Bevölkerung. Dann folgt der Grundtenor: Entwicklungshilfe schaffe in Mosambik große Abhängigkeit. Die Regierung nehme ihre Verantwortung kaum mehr wahr, sagt der Sozialwissenschaftler: "Sie verlassen sich einfach auf die Hilfe der Nichtregierungsorganisationen." Dann ein Zitat aus seiner Heimat: Man solle den Leute nicht Fische geben, sondern ihnen das Angeln beibringen.
Nicola Humpert, bei Epiz für die Koordination des Projekts zuständig und Initiatorin des Projekts, lud Mucavele als Dozenten ein. "Wir konkretisieren Lehrpläne", umreißt sie die Aufgabe ihrer Organisation. Immer mehr Lehrer könnten die Lehrinhalte nicht tiefgründig behandeln und würden dankbar auf vorbereitetes Unterrichtsmaterial zurückgreifen, erzählt sie. Rund 200 Schulveranstaltungen zu verschiedensten Themen bietet Epiz jährlich an.
Mucavele hat nach dem Referat noch eine Menge Fragen zu beantworten. Etwa, ob das Aids-Problem verdrängt werde. Mucavele erzählt von seiner Nichte, die vor Kurzem an Aids starb. Ihre Mutter hatte aus Scham ihre Erkrankung verheimlicht. Ob Mucavele nicht aus einer privilegierten Familie stamme, da er in Deutschland studiert? Der Sohn eines Krankenpflegers und einer Erzieherin kontert, das sei eine typisch deutsche Frage. Er komme aus der normalen Mittelschicht, "die Tür zum Studium steht mit 36 mosambikanischen Hochschulen auch in unserem Land offen". Mucavele ist ein gewandter Redner, er fordert die Aufmerksamkeit mit viel Gestik, kurzen Sätzen und gut getimtem Witz. Er erzählt, wie er einen Stamm über die Gefahr von Aids übertragenden Stechmücken informierte. Dazu projizierte er Bilder der betreffenden Fliegen an eine Leinwand. Als er fertig war, sagte ihm der Stammesälteste: "Wir haben Mitleid mit euch in Deutschland. Ihr müsst viel schneller sterben - eure Moskitos sind ja riesig." Die deutschen Schüler brechen bei dieser Geschichte in lautes Gelächter aus.
"Die Mischung aus Abstrahiertem und Persönlichem macht den Vortrag für die Schüler so interessant", meint Studienrat Burkhard Zimmermann. Die hohe Beteiligung seiner Schüler heute sei dafür ein gutes Indiz. "Für entwicklungspolitisch interessierte Lehrer wie mich ist das Epiz herrlich", schwärmt der Erdkundelehrer. "Ein sehr authentisches Zeugnis", sagt Schüler Bastian Benrath. Etwas mehr über die lokale Politik hätte er sich von Mucavele jedoch gewünscht. "Es kam so nach dem Motto rüber: Unsere Regierung ist einfach schlecht. Das finde ich zu undifferenziert", kritisiert er.
Nachfragen zur politischen Situation blieben allerdings auch fast aus. Mucavele musste vielmehr konkrete Probleme klären. "Wie kann ich denn in Mosambik helfen?", fragt ein Schüler. "Was willst du studieren? Physik? Dann werde dort Physiklehrer", antwortet Mucavele. Der Schüler nickt. Zwei Fragen später will ein anderer wissen: "Was kostet denn ein Flug nach Mosambik?"
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