FU-Geburtstag: Der Kampf um die Köpfe geht weiter

Von Anfang an exzellent oder Hort des Widerstands - zum 60. Geburtstag streiten sich Leitung und Asta der Freien Universität (FU) um die Deutungshoheit über die eigene Geschichte. Fest steht: Die wilden Jahre der Protestkultur sind lange vorbei

"Discover the World" lädt die beleuchtete Weltkarte die Besucher der Ausstellung im Henry-Ford-Bau ein. Berührt man einen der Leuchtpunkte mit dem Finger, erscheint ein Kooperationsprojekt der Freien Universität (FU) auf dem Bildschirm. Peking, Sankt Petersburg, New York - es sind ziemlich viele Leuchtpunkte.

Am heutigen 4. Dezember wird die Freie Universität (FU) 60 Jahre alt. Ihr Name erinnert an die Gründung im Kalten Krieg, als Studenten die Hochschule aus Protest gegen die Repressionen an der Ostberliner Humboldt-Universität ins Leben riefen. Mit Unterstützung der amerikanischen Besatzungsmacht entstand Deutschlands erste demokratisch strukturierte und studentisch selbst verwaltete Hochschule.

Die Liste prominenter Absolventen, von Gesine Schwan bis Hans Eichel, von Edzard Reuter bis zu Elke Heidenreich, ist lang; als linker "Thinktank" prägte die FU besonders in den 60er- und 70er-Jahren die Stadt. Seit 2007 darf sie sich aufgrund des erfolgreichen Abschneidens im bundesweiten Exzellenzwettbewerb Eliteuniversität nennen.

Kritiker wie der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta) werfen dem seit 2003 amtierenden FU-Präsident Dieter Lenzen zu große Wirtschaftsnähe und Leistungsorientierung vor. Dementsprechend wird auch verschieden gefeiert: Die Unileitung präsentiert im Henry-Ford-Bau die Geschichtsausstellung "Zukunft von Anfang an". Dort wird heute um 17.30 Uhr auch der "Freiheitspreis Freie Universität" an den polnischen Exaußenminister Wladyslaw Bartoszewski verliehen. Der Asta hat zum Jubiläum die 160-seitige Broschüre

"fu60-gegendarstellungen" herausgegeben. Erhältlich unter www.astafu.de. API

Partnerschaften mit 110 Universitäten auf allen Kontinenten, 302 europäische Kooperationen, jährlich mehr als 1.200 studentische Gäste aus dem Ausland: In der offiziellen Jubiläumsausstellung zu ihrem 60-jährigen Bestehen präsentiert sich die FU in Dahlem als weltläufiges und zukunftsorientiertes Bildungsunternehmen.

Unter dem Motto "Zukunft von Anfang an" wird dabei die bewegte Geschichte der Westberliner Uni als Serie von Erfolgen erzählt, die ihren Höhepunkt im Exzellenzdiskurs von heute findet. Auf weißen Schautafeln wird ein großer Bogen geschlagen: Von der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die sich 1911 als "deutsches Oxford" in Dahlem etablierte, über den heroischen Gründungsakt 1948, bis zur jüngst erfolgten Weihe zur deutschen Vorzeige-Uni.

Die Geburt der FU als demokratischer und selbst verwalteter Gegenentwurf zur Humboldt-Uni im Osten wird gefeiert. Ebenso die zahlreichen Absolventen von Gesine Schwan bis Hans Eichel, deren amüsante Studentenausweisbilder die Tafeln zieren. Selbst die 60er-Jahre, als die FU Zentrum der antiautoritären Studentenbewegung war, fügen sich mit bunten Fotos und Traktaten in die Darstellung ein. Allerdings taugen die "wilden Jahre", die einmal so prägend für die Selbst-und Außenwahrnehmung der Hochschule waren, nur als lustige Randanekdote auf dem Weg zur Eliteuni. Dass just eine Woche vor dem Jubiläum nun ein Brief des Nachkriegsbürgermeisters Ernst Reuter von 1951 auftauchte, kommt gerade recht: Das Dokument belegt, dass Reuter im Fall einer Wiedervereinigung plante, die FU als einzige Berliner Uni zu erhalten. Das passt perfekt ins Bild: die Freie Universität - exzellent von Anfang an.

Unwidersprochen bleibt die offizielle Version der Geschichtsschreibung freilich nicht: Ebenfalls pünktlich zum Jubiläum hat der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta) seine eigene Version der Hochschulgeschichte veröffentlicht. "fu60: gegendarstellungen" heißt das Magazin, das sich ausführlich mit all dem beschäftigt, was in der offiziellen Ausstellung nicht oder nur am Rande vorkommt.

Der Asta liest die Uni-Geschichte als eine Abfolge von Kämpfen um Demokratie und Meinungsfreiheit: Schon bei ihrer Gründung sei die FU eine "Gegenuni" gewesen. 1963 kippte der Ältestenrat das Burschenschaftsmitglied Eberhard Diepgen - den späteren Regierenden Bürgermeister - aus seinem Amt als Asta-Vorsitzender. 1965 dann der "Fall Kuby": Der Publizist Erich Kuby, den der Asta zu einer Podiumsdiskussion eingeladen hatte, erhielt vom Rektor Redeverbot, weil er die "unfreien" Zustände an der FU kritisiert hatte. Kuby musste schließlich im Studentenhaus der Technischen Universität sprechen.

Das "Vietnam-Semester" 1965/66, das wilde Jahr 1968, die Ausrufung der "kritischen Universität" von Teilen der Studierendenschaft und die 1969 von erzkonservativen Professoren gegründete Notgemeinschaft für eine freie Universität (NoFU) - der Asta beschreibt das, was die offizielle Uni-Ausstellung als "grundlegende Auseinandersetzung um gesellschaftspolitische und hochschulpolitische Zukunftsfragen" unter den Teppich kehrt.

Die beiden Darstellungen könnten also unterschiedlicher kaum sein. Dennoch berufen sich beide auf den Gründungsgeist der FU: die Freiheit. Die Unileitung sieht in dem demokratischen Aufbruch der Gründungsjahre eine vorbildliche Tradition, mit der man sich gerne schmückt. Heute, und das wird in der Ausstellung ziemlich deutlich, steht für die Offiziellen aber nicht mehr die interne Demokratie im Vordergrund, die einst Alleinstellungsmerkmal der Freien Universität war - sondern die Freiheit der Forschung. Und damit der Kampf um Mittel, das Mithalten im internationalen Forschungswettbewerb.

Dass dabei die mühsam erkämpfte studentische Mitbestimmung leidet, zu diesem Schluss kommen die Studierendenvertreter in ihrer Geschichtsbetrachtung. Bereits seit den 80er-Jahren beobachtet der Asta einen "konservativen Rollback", seit den 90ern eine passive Revolution: "Anonyme Sachzwänge, konzerngesponserte Gutachten (…) und die scheinbar hinter allem steckende universale Logik des Marktes sind es, die die Universität derzeit ins Rollen bringen", lautet das desillusionierte Fazit. Dass die FU im bundesweiten "Exzellenzwettbewerb" um Spitzenforschungsgelder recht gut dasteht, wertet man als "Selbstzerstörung bürgerlicher Bildungsideale".

Bachelor-und Master-Reform, die angespannte Haushaltslage und der Exzellenz-Wettkampf, der auf Kosten der Lehre geht: Zum 60. Geburtstag gebe es mehr denn je Grund zu wütenden Studentenprotesten, die an der FU eigentlich zu jedem runden Jubiläum gehören. Doch bislang herrscht eine ungewöhnliche Ruhe auf dem Dahlemer Campus. Protestaktionen seien keine geplant, heißt es aus dem Asta-Büro. Vielleicht liegt es daran, dass auch die Uni-Leitung keinerlei offiziellen Festakt vorgesehen hat.

Gefeiert und protestiert wird wohl trotzdem. Denn beides, die offizielle Jubelfeier drinnen und die Studierendenproteste vor der Tür, sind eine lieb gewordene FU-Tradition: 1968 gründeten Studierende die alternative "Kritische Uni", 1988 besetzten sie alle Institute - Gründe waren damals Wohnungsnot und Hörsaalüberfüllung. Die Proteste gegen Studiengebühren 1998 verliefen vergleichsweise harmlos und waren bis zum Beginn der Jubiläumsfeierlichkeiten vorbei.

Zum 60. hat sich der Asta nun die Veranstaltungsreihe "Immer nur dagegen - Zukunft von Anfang an" einfallen lassen. Es ist der Versuch, die zusehends erlahmende politische Protestkultur der FU wieder in Schwung zu bringen. Allerdings mit gemäßigten Mitteln, denn seit 1989 sind dem Asta per Gerichtsbeschluss "allgemeinpolitische, nicht hochschulpolitische Äußerungen" verboten.

Darum beschränkt man sich nun auf Uni-Politik - oder weicht nach außerhalb aus. Ende November wurden Aktive vergangener Protestgenerationen zum Gedankenaustausch eingeladen. "Ist heute weniger los, wenn ja, warum?", lautete die bange Frage. Zum 18. Dezember lädt der Asta nach Mitte, um auf 20 Jahre Streik und Protest zurückzublicken. Dass die Veranstaltung als "Klassentreffen zur vergnüglichen Selbstreflexion, mit Reflexionsmitteln, die wir noch suchen, aber bis dahin tendenziell gefunden haben werden" angekündigt wird, kündet von einer gewissen Ratlosigkeit.

"Es fehlen Politisierung und Organisation", stellt der Asta in seinem Jubiläumsheft fest und spricht von einer Niederlage der Studentenbewegung. Dieser gelänge es nicht mehr, eine wachsende Zahl "technokratisch" orientierter Individualisten in Debatten über die Rolle der Universität in der Gesellschaft einzubinden.

FU-Präsident Dieter Lenzen, der unlängst von Bertelsmann und einer Wirtschaftszeitung zum "Hochschulmanager des Jahres" gekürt wurde, sieht das natürlich ganz anders. Die Ausstellung im Henry-Ford-Bau endet mit einem großen Bild der von Norman Foster gebauten Bibliothek "Berlin Brain": Die FU, heißt es auf einer der glänzenden Tafeln, gehöre heute zu den 60 weltweit führenden Forschungsuniversitäten. Im Kontrast zu den vielen Kooperationsleuchtpunkten wirken die daneben ausgestellten Asta-Flyer mit dem kämpferischen schwarzen Stern im Logo irgendwie antiquiert.

Die Zeiten der langen Haare, der unangefochtenen Meinungsführerschaft linkspolitischer Studierendenkreise und des 16-semestrigen Politikwissenschaftsstudiums sind vorbei. Das heutige Gesicht der FU ist nicht mehr die Rostlaube oder die Asta-Villa, sondern das Berlin Brain. Ob man diese Entwicklung nun gutheißen mag oder nicht.

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