Kommentar Aufstockerprogramm: Von wegen niedrige Arbeitslosigkeit

Mit dem Aufstockerprogramm vertuscht die Bundesregierung, dass viele Menschen nicht von ihrem Vollzeitjob leben können. Die Rechnung dafür gibt es nächstes Jahr.

Es ist ein handfester Skandal, den die große Koalition da verschweigt, wenn sie sich mit den - im Moment noch - niedrigen Arbeitslosenzahlen brüstet: Hunderttausende Menschen beziehen in Deutschland Hartz IV, obwohl sie in einem Vollzeitjob arbeiten. Das Amt muss ihren Verdienst aufstocken, weil er sonst nicht zum Leben reicht. Eine Statistik der Arbeitsagentur zeigt jetzt: Immer mehr, meist gering qualifizierte Menschen, machen diese demütigende Erfahrung, trotz Wirtschaftsaufschwung.

Denn das Jobwunder der Regierung stützt sich auf einen wuchernden Niedriglohnsektor. Firmen haben in den vergangenen Jahren zwar mehr Menschen eingestellt, gleichzeitig weitete sich aber prekäre oder befristete Beschäftigung aus. Dafür sind vor allem die rot-grünen Arbeitsmarktreformen verantwortlich: Die SPD, die heute für den Mindestlohn kämpft, hat den Typus "Aufstocker" mit den Hartz-Reformen erst etabliert. Und mancher Chef nutzt die staatliche Lohnhilfe gerne, um den eigenen Gewinn zu steigern.

Im nächsten Jahr wird der Abschwung voll auf den Arbeitsmarkt durchschlagen. Und bereits jetzt steht fest: Die Verlierer sind Geringqualifizierte, die es im Aufschwung so gerade in einen schlecht bezahlten Job geschafft haben. Sie sind am kürzesten im Unternehmen dabei, sie sind am ehesten verzichtbar, sie müssen als Erste wieder gehen. Qualifizierte, gut ausgebildete Menschen hingegen können die Krise leichter durchschiffen. Sie haben bessere Jobs und deshalb mehr Geld zum Ausgeben. Sie können zuversichtlicher in die Zukunft schauen, weil sie leichter wieder Arbeit finden.

Deshalb greift die aktuelle Debatte um Konjunkturprogramme zu kurz. Konsumgutscheine befeuern die Nachfrage kurzfristig, nachhaltig wirken sie nicht. Wenn die Regierung schon Milliarden verteilt, sollte sie eines beherzigen: Bildung ist das beste Rezept für eine starke Wirtschaft. Profitieren werden davon allerdings erst die Kinder derjenigen, die im nächsten Jahr erneut ohne Arbeit dastehen.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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