Finanzdisaster und Datenskandale: 4.000.000.000.000

Verlorene Milliarden, verlorene Daten, verlorene Wut. Wenn wirklich etwas passiert, ist das kaum noch der Aufregung wert. Aus Skandalen werden Pannen, aus Millionen kleine Abschreibungen.

Bei der Landesbank Berlin (LBB) sind offenbar Kreditkartendaten von Zehntausenden Kunden abhanden gekommen. : ap

Das US-amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek hat in seiner aktuellen Ausgabe eine ganze Menge Nullen auf dem Titel. 12, um genau zu sein. Und davor eine Vier. 4 Billionen Dollar, die die Welt - zumindest finanziell - retten sollen. Ob das funktioniert, ist nicht nur umstritten, sondern auch nebensächlich. Interessant ist vor allem: Wie groß muss eine Zahl sein, damit sie es in diesen Zeiten noch auf einen Titel schafft? Unter einer Billion ist da nicht viel zu machen.

50 Milliarden Dollar reichen nicht. Das ist die Summe, um die der Ex-Nasdaq-Chef Bernard Madoff eine Reihe von Investoren betrogen haben soll. Seine Opfer: Großbanken. Unter anderem die französische Paribas, die spanische Santander und die japanische Nomura. Madoff hat sich einen denkbar passenden Zeitpunkt ausgesucht, um mit seinem Schneeballbetrugssystem aufzufliegen. Nie war ihm weniger Aufmerksamkeit garantiert. In Zeiten, in denen die USA 700 Milliarden Dollar für den Finanzsektor bereitstellen, die Kreditanstalt für Wiederaufbau aus Versehen 300 Millionen Euro aus einem Termingeschäft an die Investmentbank Lehman Brothers überweist, die zu dem Zeitpunkt bereits öffentlich pleite ist, und Konjunkturprogramme und Rettungsschirme in aller Welt in Milliardenhöhe geschaffen und aufgespannt werden, sind 50 Milliarden Dollar nicht viel. Natürlich, im Vergleich.

Geradezu lächerlich wirkt die Summe, die Madoff als Kaution aufbringen musste, um nach seiner Festnahme wieder auf freien Fuß zu kommen: 10 Millionen Dollar. Damit sich nicht erst Madoff und anschließend die Kaution in Luft auflöst, muss sein Apartment in Manhattan als Sicherheit herhalten. Um die 10 Millionen aufzubringen, kann der 70-Jährige nicht lange gebraucht haben: Nach seiner Verhaftung am Freitag war er spätestens am Sonntag wieder auf freiem Fuß. Sein Wertpapierhandelsunternehmen gibt derweil an, über mehr als 700 Millionen Dollar Kapital zu verfügen.

Von solchen Summen können die Kunden der Landesbank Berlin (LBB) nur träumen. Dafür ist ihnen auch weniger verloren gegangen. Bis zu 5.000 Euro sollen jeweils von einzelnen Konten verschwunden sein, nachdem auf bislang ungeklärte Weise Kontodaten abhandenkamen. Während die LBB selbst nur von Diebstahl spricht und so die Schuld eindeutig von sich wegschiebt, redet sogar der Branchendienst Heise das Ganze als "Datenpanne" klein. Klar, mittlerweile sind wir ja ganz andere Dimensionen gewohnt. Etwa die 30 Millionen Handykunden der Telekom, deren Adressen und Bankdaten einsehbar und manipulierbar waren. Oder die 17 Millionen Kundendaten, die dort bereits 2006 abhandenkamen. Wer wird da bei 10.000 Kreditkartendaten noch von einem großen Skandal reden?

Der letzte ganz große Datenschutzskandal muss - zumindest den damit verbundenen Protesten nach zu urteilen - ohnehin zu Beginn der 80er-Jahre stattgefunden haben. Gegen die damals angekündigte Volkszählung protestierte eine breite Masse der Bevölkerung. Um die Mobilfunkkunden bleibt es dagegen ruhig. Genauso ruhig übrigens wie Anfang Dezember. Da verabschiedete das Kabinett einen vom Bundesinnenministerium vorgelegten Gesetzentwurf. Das "Gesetz über den registergestützten Zensus im Jahre 2011" bildet die Basis für die geplante Volkszählung in gut zwei Jahren.

Zwar wird hier nicht jeder einzelne Bürger befragt werden, sondern ein Teil der Daten von den Melderegistern und der Arbeitsagentur an das Statistische Bundesamt übermittelt. Doch beispielsweise sämtliche der über 17 Millionen Wohnungs- und Gebäudeeigentümer werden in jedem Fall einen Fragebogen in ihrem Briefkasten finden. Unwahrscheinlich, dass sie schon einen Proteststurm vorbereitet haben und mit dem Einsatz nur warten, bis die Gesetzesvorlage vom Bundestag verabschiedet ist. Auch hier gebührt dem Timing Respekt: 25 Jahre nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, das das Recht auf informationelle Selbstbestimmung überhaupt schuf und damit den Grundstein für den Datenschutz legte, werden die Planungen für den nächsten Zensus konkret.

Vielleicht sollte die öffentliche Abgestumpftheit nicht verwundern. Vielleicht ist sie ein Hinweis darauf, dass sich die Bürger um anderes oder Wichtigeres oder Spannenderes kümmern. Vielleicht gibt in den unerkannten Skandalen auch etwas Positives. Zum Beispiel könnte der LBB-Fall ein Anstoß für ein Umdenken in der Rechtsprechung hin zu mehr Verbraucherfreundlichkeit sein, wie Frank Rosengart vom Chaos Computer Club hofft. Wahrscheinlicher aber sind die Fälle nur weitere Beweise dafür, dass es in Zukunft immer dicker kommen muss. Nicht damit sich etwas ändert. Sondern damit es überhaupt jemand zur Kenntnis nimmt.

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