Zwischenbilanz "Pro Reli": "Pro Reli verstärkt die Abgrenzung"

In Berlin müsse jede Chance zum Dialog zwischen Religionen genutzt werden, sagt der Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu. Wäre allerdings "Pro Reli" erfolgreich, würde das viele Bemühungen wieder zunichtemachen.

taz: Herr Mutlu, die Organisatoren des Volksbegehrens "Pro Reli" kriegen nur mit Mühe die Unterschriften für einen Volksentscheid zusammen. Sie scheint das nicht gerade zu ärgern.

Özcan Mutlu: Mir steht es nicht zu, mich zu ärgern oder mich zu freuen. Fakt ist, dass "Pro Reli" Ziele verfolgt, die meinen widersprechen.

Inwiefern?

"Pro Reli" hat einen nach Konfessionen getrennten Religionsunterricht als Ziel. Das ist in einer Stadt wie Berlin mit mehr als hundert Religionen alles andere als integrationsfördernd.

Wieso: Was ist schlecht daran, wenn jede einzelne dieser Religionen unterrichtet würde?

In Berlin ist es wichtig, jede Chance zum Dialog zu nutzen, so wie beim Ethikfach. Ein erfolgreiches Volksbegehren "Pro Reli" würde aber das Gegenteil bewirken: Es würde die Schüler nach Weltanschauung und Religion aufteilen, es hat keine integrative Kraft, sondern würde die Segregation und Abgrenzung verstärken.

Die "Pro Reli"-Aktivisten sehen das anders: Gerade die freie Wahl zwischen Ethik und Religion würde durch ihre Vielfalt die diversen Prägungen der Schüler ernst nehmen - ob Jude, Christ, Muslim oder Atheist.

Aber nur ein für alle verpflichtendes Ethikfach sorgt dafür, dass nicht bloß Christen mit Christen zusammensitzen und über den Islam sprechen oder nur Muslime mit Muslimen über das Christentum reden. Der Kern sind das gemeinsame Gespräch und der Dialog miteinander.

Die andere Seite sieht das mehr oder minder so, dass dabei die Religionsfreiheit leidet.

Wer einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht will, kann ihn wie bisher ohne Abstriche auf freiwilliger Basis haben.

Sie als Bildungspolitiker kennen die immer volleren Stundenpläne - da ist für freiwillige Zusatzfächer kaum Zeit.

Seit der Einführung von Ethik hat sich der Rückgang beim Fach Religion nicht dramatisch verstärkt: Er beträgt lediglich 1 Prozent; bei dem allgemeinen Schülerrückgang ist das verkraftbar.

Das würde eine Ökonom eine Win-win-Situation nennen, in der alle profitieren. "Pro Reli" sieht das anders.

Wer sagt, dass Ethik den Religionsunterricht gefährdet, der soll sich die Praxis in Schulen angucken: Ethik wirkt, und das Abendland wird dadurch nicht gefährdet. Außerdem ist Religionskunde ein fester Bestandteil des Ethikfaches.

Unter den Unterzeichnern sollen auffällig viele Muslime sein. Wie erklären Sie sich das?

Das würde mich überraschen. "Pro Reli" geht ja mit der Aussage auf die Straße, dass das Volksbegehren "radikale" Organisationen wie die Islamische Föderation aus den Schulen raushalten würde. Die Organisatoren tun so, als würde staatlicher Religionsunterricht vor Radikalen schützen. Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Abgeordnetenhauses sagt das Gegenteil: Die Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten des Staates ändern sich nicht wesentlich.

Unabhängig davon muss doch das Fach Ethik manchem Muslim als staatlicher Hebel zur Zwangsassimilierung erscheinen.

Das ist Quatsch. Die Aleviten etwa sind für Ethik, viele andere Muslime auch. Seit es Ethik gibt, haben die Kinder in der Schule endlich eine Sprache für ein gemeinsames Gespräch gefunden.

Ist der Streit über Ethik vorbei, falls das Begehren scheitert?

Ich hoffe, dass dann Schluss ist und die Schulen endlich wieder die Ruhe für ihre Arbeit haben. Ideologische Grabenkämpfe sind das Letzte, was wir als Stadt oder die Schulen gebrauchen können.

INTERVIEW: STEFAN ALBERTI

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