Oma strickt am Walschal

Zieh dich um, du alte Hippe! Helge Scheider ist mit seinem Programm „Kampf im Weltall“ als agiler Sprechakt-Entertainer im Berliner Schillertheater fast noch ganze zwei Wochen zu Gast

Man muss als Fan auch einiges einstecken und verzeihen können

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Helge Schneider ist 50 geworden, ein Anlass auch für Fans der ersten Stunde, innezuhalten und ein Resümee zu ziehen. Am schönsten war es mit Helge natürlich früher um 1988, als ihn noch keiner kannte. Am schlimmsten war die „Katzeklo“-Phase 1994: Da musste, wer dem großen Mülheimer Denker und Sprachphilosophen lauschen wollte, plötzlich neben entfesselten Idioten sitzen, die beim bloßen Erscheinen des Künstlers in schallendes Schenkelklopfen und anbiedernde „Helge!“-Rufe ausbrachen. Was Helge Schneider der deutschen Sprache gegeben hatte, wie er die Kunst des frei irrlichternden Fabulierens auf der Bühne perfektioniert hatte, das war den neuen „Katzeklo“-Fans doch gar nicht bewusst!

Oft sind es einzelne Sätze. „Das prangere ich an!“, oder „Ich war für einen Moment eingeschlafen“; aber auch „Ich habe mich vertan“ und „Ist der Mensch nicht nur Geschnetz?“… Stundenlang könnte man Schneider’sche Aphorismen, seine Lebensweisheiten und Bonmots aufzählen, auch wenn Helge Schneider selbst seine alten berühmten Bühnenerzählungen längst nicht mehr aufführt. Auf die große Popularität konnte der Künstler ja nur mit innerer Emigration reagieren.

Als Talkshowgast sprach er oft gar nicht mehr, sondern begnügte sich damit, langsam einen Sessel rücklings herunterzurutschen. Bei Konzerten trat er mit Bigbands auf und verzichtete auf Witze und Ansagen. Und obwohl er Buch um Buch schrieb, auf Tournee ging, Platten veröffentlichte und Pferdemusicals inszenierte, trat er doch eigentlich als großer Verweigerer auf. Trotzdem muss man zumindest alle drei, vier Jahre zu einem Konzert gehen, um sich Helge Schneiders zu vergewissern. Erst im April war er für einige Tage im Schillertheater, nun gastiert er mit dem Programm „Kampf im Weltall“ fast zwei Wochen in Berlin.

Schon in jungen Jahren als „singende Herrentorte“ hatte sich Helge Schneider ja meist in einem gebückten Methusalemgang auf die Bühne geschleppt. In letzter Zeit befürchtete manch besorgter Beobachter allerdings, die Müdigkeit und Mattheit sei gar nicht mehr gespielt, sondern Ausdruck eines echten Überdrusses – vielleicht gar eines Schneider’schen Burn-out-Syndroms?

Zur Premiere am Montagabend aber kommt ein ganz agiler Helge Schneider auf die Bühne, setzt sich ans Kinderschlagzeug und trommelt unter Verrenkungen und Grimassen. Gibt den Roboter, überprüft den Achselschweiß. Statt einmal mehr den Ausdruckstänzer zu geben, lässt er nun tanzen, und zwar das Ein-Personen-Ballett Sergej Gleithmann aus der ehemaligen Sowjetunion.

Der Tänzer fällt vor allem durch eine Haartracht auf, die es so eigentlich gar nicht geben kann. Die hüftlange blond-graue zauselige Haarmatte entsprießt einer kreisrunden Tonsur, dazu trägt er einen brustlangen Sauerkrautbart, getanzt wird in einem senfgelben elastischen Ganzkörperanzug.

Helge Schneider sitzt am Piano oder an einer Orgel mit aufgemalten züngelnden Flammen, am Schlagzeug Pete York. „Berlin, die schönste Stadt im Umkreis von 5 km“, so umgarnt Schneider sein Publikum und schlägt es mit dessen eigenen Mitteln: Gleich zu Beginn schon will er „Katzeklo“ spielen und alle sollen mitsingen.

Das eher feinsinnige Publikum im Schillertheater brummt nur widerwillig und sehr leise das Erfolgslied mit. Dafür gibt es ein paar aktuelle Abwandlungen: Die Katze ist nachts wach, die Oma strickt einen Schal, 30 Meter lang für einen Wal – es ist eine Bestellung. „Alberner Helge! Das ist doch albern!“, will man den Künstler mit seinen eigenen Worten zurechtweisen, und doch ist es immer wieder schön, wenn er so albern-ekstatisch auf der Klavierbank liegt und zuckt.

Getanzt wird ineinem senfgelben elastischen Ganzkörperanzug

Aber es gibt ja noch neue Lieder! Besonders schön ist die etwa 18-strophige sozialkritische Klavierballade über verschwundene Wiesen und die Glätte der Gesellschaft. „Musik-Sanitäter in der Not“ wäre ein Hit, gäbe es nicht ein vierzehnminütiges Pfeifsolo – man muss als Fan auch einiges einstecken und verzeihen können.

Helge gibt den besessenen Dorfdeppenentertainer mit „Lymphdrainagen sind schmerzhaft, Epilieren aber auch“; er wird zum Kirchenorgler und Pfarrer, geht zur Live-Berichterstattung von den Feierlichkeiten der Königshäuser über, und kleine Sätze wie „Die Queen kniet jetzt, es ist ein schönes Bild der Anmut“ erwärmen die Herzen. Dann spielt er wieder nervöse Jazzstandards, und das senfgelbe Bartmonster tanzt „Der geplatzte Pariser“.

So einiges passiert an diesem Abend, ein rasantes Potpourri aller 300.000 Helge-Schneider-Hits wird aufgeführt. Mal mimt Schneider einen algerischen Volkssänger, intoniert endlos klagende Gesangsarabesken in phonetischem Arabisch, hat aber auch zur Schlagerparodie der früheren Jahre zurückgefunden und schmettert euphorisch sein „Die Trompe-eeee-eeeee-ten von Mexiko“ in die Runde.

Ganz am Schluss philosophiert man noch ein bisschen mit ihm über den Menschen, die Zeit, die schwarzen Löcher im All, die nur von der Regierung aufgemalt wurden; auch über die Musik, und über uns – sind wir echt oder nur virtuell? Kann man durch uns durchgreifen? „Ich kam zu euch mit leeren Taschen“, singt der Barde als letzte Zugabe auf der verstimmten Gitarre, und die so stimmungsvoll entlassenen Menge strebt zu den Ausgängen. Nicht direkt erschöpft vor Ekstase, aber ganz glücklich und zufrieden.