Auftakt Vierschanzentournee: Allein gegen die Armada
Simon Ammann gewinnt den Auftakt der Vierschanzentournee und muss entdecken, dass Taktik auch beim Skispringen eine Rolle spielt. Vor dem Neujahrsspringen lauert die Konkurrenz.
Sehr zufrieden waren die deutschen Springer mit ihrem Einstieg in die Vierschanzentournee. Gleich vier DSV-Athleten platzierten sich unter den ersten 15. Das war von dem sich zuletzt nur langsam stabilisierenden Krisenteam nicht zu erwarten gewesen und ist deshalb auch "für uns schon am oberen Rand", so Bundestrainer Werner Schuster. Martin Schmitt als Fünfter ist, so glaubt Schuster, sogar "nicht mehr weit vom Podest weg".
Deutsche Flughelden bescherten dem ZDF solide Quoten. Obwohl das Springen am wenig publikumsfreundlichen Montag stattfand, kam die Übertragung auf einen Marktanteil von 27,7 Prozent.
Für Simon Ammann, dem Sieger des Auftaktspringens der Vierschanzentournee, ist Taktik ein elementarer Bestandteil seines Sports. Das verwundert zunächst, denn Taktik, das ist doch eigentlich etwas fürs Militär, für eine Papstwahl oder für die Diplomatie. Und, ja, auch irgendwie für den Fußball. Beim Skispringen aber, so dachte man bisher zu wissen, gibt es weder taktische Aufstellungsmöglichkeiten noch eine Renntaktik wie beim Langlauf. In der Taktik des Skispringens geht es auch eher um das Verhalten abseits der Schanze, denn da werden die Weichen gestellt für die psychische Verfassung, mit der man den nächsten Sprung wagt. Insofern tut der Schweizer Ammann gut daran, sich in Gelassenheit zu üben. Denn die taktischen Scharmützel der Gegenseite haben gerade erst begonnen.
Die österreichische Flugarmada, angereist mit einer enormen Portion Selbstbewusstsein (Trainer Alexander Pointner: "Wir wollen den Tourneesieg."), ist ein klein wenig gerupft worden. Wunderkind Gregor Schlierenzauer wurde Vierter vor dem wieder zum deutschen Vorzeigeflieger avancierten Martin Schmitt, Olympiasieger Thomas Morgenstern kam lediglich auf Rang elf. Wolfgang Loitzl landete immerhin hinter Ammann als Zweiter auf dem Podest. Das findet man - offiziell zumindest - ziemlich klasse: "Uns gefällt diese Ausgangssituation", behauptet Skisprungdirektor Toni Innauer. Schließlich habe man in den vergangenen beiden Wintern das Oberstdorfer Springen jeweils gewonnen - um dann am Schluss in Bischofshofen beim Tourneefinale anderen gratulieren zu müssen. "Jetzt hat ein anderer gewonnen, aber wir sind in bester Distanz", frohlockt Innauer. Seine Truppe, suggeriert er, lauert im Hinterhalt, während Ammann dem grellen Scheinwerferlicht der hohen Erwartungen ausgesetzt ist. "Wer in Oberstdorf gewinnt, wird ständig nach dem Tourneesieg gefragt."
In der Tat: Simon Ammann aus Unterwasser muss sich diese Fragen mehrmals vor dem zweiten Tourneespringen gefallen lassen. Auch die Frage, ob ein Sieg aller vier Einzelspringen im Stile Sven Hannawalds möglich ist, trifft ihn natürlich. Der gelassene Ammann sagt: "Diese Frage finde ich prima." Um in aller Unverbindlichkeit zu ergänzen: "Ich will so gut wie möglich sein."
Er wisse um seine Stärke und um seine Defizite, sagt Ammann. Vor allem aber weiß er, wie neu so eine Siegesserie, die er mit nun bereits fünf Weltcupsiegen in diesem Winter erlebt, für ihn ist. Als Ammann 2002 Doppelolympiasieger wurde, hatte niemand mit einem derartigen Erfolg gerechnet. Der junge Schweizer, der ein bisschen so aussah wie Harry Potter, wurde von Talkshow-Auftritten zum Wetten-dass-Sofa herumgereicht wie eine Sensation. Doch dann wurde das Skispringen verdammt schwierig für ihn, die Konkurrenz enteilte, Ammann schien in der Branche das zu werden, was man in der Popmusik ein One-Hit-Wonder nennt. Aber dann stürmte er fünf Jahre später erneut die Charts, das heißt: Er wurde überraschend 2007 Weltmeister.
Und nun, Ende 2008, genießt er erstmals ein beständiges Hoch. Das allerdings war ausgerechnet vor dieser Saison so gar nicht zu erwarten gewesen. Nach nur einem Jahr hat sich nämlich Werner Schuster als Trainer des Schweizer Miniteams wieder verabschiedet, weil er den Lockrufen der Deutschen erlegen war und nun lieber Schmitt und Co. trainiert. "Aber wir hatten gleich eine Lösung parat", sagt Ammann. Der erst 28 Jahre alte Nachwuchstrainer Martin Künzle sollte fortan die beiden Weltcupspringer Ammann und Andreas Küttel betreuen. "Das Alter spielt überhaupt keine Rolle. Wichtig ist mir die Ansprache an der Schanze", sagt der nur ein Jahr jüngere Ammann. Die Enttäuschung, einen Trainer an die viel begütertere Konkurrenz verloren zu haben, ist in Energie umgemünzt worden.
Der Tourneetross ist nun weitergereist nach Garmisch-Partenkirchen. An Neujahr wird sich entscheiden, ob es für Ammann weiter um die Frage nach vier Einzelsiegen gehen wird. Oder ob die Konkurrenz ihn übertrumpfen kann. Ammann wirkt nicht, als habe er Angst davor. "Oberstdorf war die schwierigste Schanze", erklärt er, als ob jetzt nur noch Kinderspiele auf ihn zukämen. Sein Trainer Künzle hat in beiden Wettkampfsprüngen sogar noch "Fehlerchen" entdeckt. "Aber umso schöner ist es, dass er trotzdem ganz vorne landen kann."
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