Ein Pakt für die Leere

POLITIK Bildung ist die Zukunft. Und morgen ist auch noch ein Tag. Genug Zeit also, die brennendsten Hochschulfragen noch ein bisschen zu verschieben

Nur die Türkei, die Slowakei, Spanien und Irland geben noch weniger Geld für Bildung aus als wir

VON MARTIN KAUL

Ticktackticktackticktack. So schnellt der Takt der Zeit, so klingt die Gegenwart. Wenn es um Bildung geht, dann klingt das Zeitliche sogar nach mehr: Es klingt nach Zukunft. So zwitschern es die Spatzen von den Dächern, und Angela Merkel flüstert es in jede Kamera. Deutschland einig Bildungsrepublik. Doch nach dem im Trommelwirbel der Studierendenproteste groß angekündigten „Bildungsgipfel“ der Bundeskanzlerin und all der föderalbestimmten Ministerpräsidenten mischt sich noch ein zweites Geräusch in die lautmalerische Gegenwartsbeschreibung jener Zukunftsrepublik. Es klingt vor allem nach: Schnarch. Denn keine der verheißten Utopien dieses Bildungsgipfels hinterlässt im Getrommel der Bildungsstreikenden auch nur einen Rest an Visionärem.

Mal auf den Punkt: Was brauchen die Studierenden heute? Erstens: Sie brauchen studierbare Studiengänge. Zweitens: Sie brauchen mehr Profs. Drittens: Dazu braucht es Kohle. Wann braucht es das alles? Gestern. Ticktackticktack.

Was beschließt nun, schnarch, die versammelte Politelite im bildungspolitischen Feuerwehreinsatz am Mittwoch? Erstens: Ja, es könnte vielleicht ein bisschen mehr Geld geben. Zweitens: aber höchstens die Hälfte von dem, was nötig wäre, den Rest rechnen wir schön. Drittens: Wer überhaupt etwas kriegt und was, darüber reden wir später nochmal. Aber bitte: nicht vor Juni nächsten Jahres! Ticktackticktackticktack und ganz viel Schnarch. So klingt die Gegenwart des Visionären.

Hinter dieser institutionalisierten Zeitverstreicherei steckt ein soziales System: die Ehre des Föderalen. Eigentlich könnten die Ministerpräsidenten der Länder nach zwei aufsehenerregenden Streiksemestern an den Unis gemeinsam mit einem bildungspolitischen Blauhelm-Trupp des Bundes mal effektiv über die Probleme an den Hochschulen reden. Stattdessen streiten sie allen Ernstes darüber, ob und wie sie das wenige Geld des Bundes überhaupt annehmen sollen. Nachdem Angela Merkel den Landesfürsten 5,2 Milliarden Euro in Aussicht gestellt hat, haben Ministerpräsidenten wie Peter Müller (CDU) aus dem Saarland einen Tag später allen Ernstes die Chuzpe, im Kontext der angekündigten Bundesmittel von einem Eingriff in die „Kulturhoheit der Länder“ zu faseln.

Hintergrund ist ein alter Föderalismusstreit. Der Bund darf den Ländern nicht mehr in Bildungsfragen hineinreden. Eigentlich selbst dann nicht, wenn er selbst das Geld spendet. Angela Merkel und Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) hätten gern einen „Pakt für die Lehre“. Doch anstatt dass die Bundesländer aus den Geschenken mal Visionen machen, pöbeln sie tatsächlich weiter rum. „Jaja, neinnein. Wenn hier jemand über Geld bestimmt, dann dürfen das nur wir sein!“

Atempause: Nur die Türkei, die Slowakei, Spanien und Irland geben im OECD-Vergleich noch weniger Geld für Bildung aus als Deutschand. Rund 30 Milliarden Euro wären nötig, damit Deutschland im internationalen OECD-Vergleich an den Durchschnitt reicht. Bund und Länder wollen nach üblen Rechentricks und viel Gezeter nun gerade mal 13 Milliarden davon aufbringen – und streiten selbst darüber noch.

Was beim Top-Treffen der Chef-Vertager wieder keine Rolle spielte: Soll es im föderalen Flickenteppich des deutschen Hochschulsystems denn niemals effektive Qualitätsstandards geben, die für alle Länder gelten? Bleiben also die verhunzten Bachelor- und Master-Studiengänge auch weiterhin auf die Bewegungsfreude der Provinzprominenzen angewiesen? Sind denn die allüberall gleich miesen Strukturbedingungen von Hochschullehre wieder nur eine Vertagungsfrage?

Jawoll. Ticktack. Jawoll. Vielleicht im Juni nächsten Jahres – nach sechs neuen in Ruhe verstrichenen Monaten – werden Angela Merkel und ihre Gegenwartsverwalter auf dem nächsten verschnupften Bildungsgipfel zum großen Atmen einladen: Ein echter „Pakt für die Lehre“ – unter Bildungsexperten seit Jahren gefordert – soll vielleicht dort und dann geboren werden. Vielleicht, natürlich, ticktack.

Wenn heute durch die deutsche Disziplinierungshochschule doofgedrillte Studierende und die schöpferisch-neoliberale Bertelsmann-Stiftung schon im gleichen Atemzug die Schlafmentalität der Bildungsrepublik beklagen, ist das ein Ausdruck für das Müdigkeitsgehalt der Visionsverweigerer. Ihr Pakt ist ein Pakt für die Leere. Alles andere macht ticktack.