„Die fliehen ihrerseits schon“

VORTRAG Eltern leben ihren Kindern die Flucht in virtuelle Welten vor, sagt Heinz Buddemeier

■ 74, ist emeritierter Professor für Medien und Ästhetik in der Kunstpädagogik an der Universität Bremen.

taz: Herr Buddemeier, sind Sie ein Verfechter der Theorie, nach der Computerspiele für Gewalttaten verantwortlich sind?

Heinz Buddemeier: Nein, so einfach kann man das nicht sagen. Die Medienwissenschaft sagt, dass die Tötungshemmung durch verschiedene Risikofaktoren herabgesetzt wird. Aber: Auf Platz eins steht dabei das Computerspiel – es gibt keinen jugendlichen Amokläufer, der keine Gewaltspiele gespielt hat.

Was ist an der virtuellen Welt so faszinierend?

Die Computer-Industrie lockt natürlich, da heißt es „This land is your land“ oder da werden als Belohnung für gewonnene Spiele „Respekt-Punkte“ verteilt. Sie ist geschickt darin, auf die Wünsche und Bedürfnisse der Jugendlichen einzugehen. Außerdem wachsen Kinder bereits in einer virtuellen Welt auf: Ihre Eltern schauen im Schnitt vier bis fünf Stunden täglich Fernsehen. Die fliehen also ihrerseits schon.

Ihr Vortrag trägt den Titel „Ausbruch in künstliche Welten“. Haben Kinder und Jugendliche denn nicht immer schon versucht, in künstliche Welten zu fliehen?

Ja, natürlich, vor allem durch Lesen. Aber da werden die Welten anders hergestellt, nämlich mit Fantasie.

Und erfordert es keine Fantasie, vor einem Monitor zu sitzen und sich in eine Figur und eine virtuelle Umgebung hineinzudenken?

Zumindest viel weniger. Beim Computer kann man sehen und hören und nur die Schritte tun, die der Algorithmus vorgegeben hat – die Fantasie verkümmert. Das tut sie übrigens auch schon durch das Fernsehen.

Lesen Kinder und Jugendliche gar nicht mehr?

Doch, aber anders. Die Bücher werden anders, sie haben kürzere Abschnitte und mehr Bilder, sie sind eine Art Mix aus Video und Buch. Darüber hinaus verbringen Jugendliche im Schnitt fünf bis sieben Stunden täglich vorm Computer – das beinhaltet nicht das Arbeiten am Rechner.

INTERVIEW: SCHN

20 Uhr, Gästehaus der Uni Bremen