die wahrheit: Im Jahr des Ochsen: aufblasbare Scheiße
In der vergangenen Woche feierten wir hier in Peking den Beginn des Jahrs des Ochsen. Das Jahr davor war das der Ratte, aber George W. Bush ist ja jetzt weg...
...Gut, der hatte letztlich nichts damit zu tun, denn die chinesischen Jahre heißen nach den zwölf chinesischen Tierkreiszeichen. Das des Ochsen steht dabei - wer hätte das gedacht - in erster Linie für harte Arbeit.
Von diesem Ochsengeist war bereits in der Neujahrsshow des chinesischen Staatsfernsehens einiges zu bemerken. Dies ist die größte Fernsehshow der Welt, mit geschätzten 400 bis 500 Millionen Zuschauern, und die dort auftretenden Sängerinnen und Sänger mussten in diesem Jahr wirklich selber singen. Das schreibt ein neues chinesisches Gesetz vor, das im Juli 2008 vom Staatsrat beschlossen wurde und das Vollplayblack bei öffentlichen Auftritten verbietet. Danach muss jeder professionelle Sänger hohe Geldstrafen zahlen und verliert im Wiederholungsfall seine Lizenz, sollte er das Publikum auf diese Weise betrügen. Bei der Neujahrsshow klangen deshalb manche Sängerinnen und Sänger auch nicht mehr ganz so gut wie noch im Jahr zuvor.
Bodenständiger und ehrlicher ging es zu Beginn des neuen Jahres auch auf Pekings größtem Neujahrsmarkt zu, der im Tempel-der-Erde-Park stattfand. Dort war an den Schnickschnackverkaufsbuden ein aufblasbarer brauner Scheißhaufen an der Spitze eines langen Stocks der große Hit. Ich sah Hunderte von Pekingern, die mit diesem Gimmick lachend durch den Park zogen. Aufblasbare Scheiße, ich glaube, das ist ein Zeichen dafür, dass das neue Jahr für China ein gutes wird, denn diese Scheiße steht ja für Innovationen und Ideen.
Bei Deutschland bin ich mir da nicht so sicher, denke ich nur an das Geschenk, das mir die hiesige deutsche Botschaft zum Jahresanfang machte. Es war ein Kalender vom Auswärtigen Amt, in dem man mit Hilfe vieler Fotos und Fakten damit angab, wie toll es doch zu Hause sei. Der Kalender heißt zwar "Kreativ in Deutschland", doch ist er selbst das beste Beispiel dafür, dass das gar nicht stimmt. Geschätzte fünfzig Mal wiederholt sich im Kalendertext das Wort "kreativ" in allen möglichen Zusammensetzungen: "kreative Köpfe", "kreative Persönlichkeiten", "kreatives Kochen", "Kreativwirtschaft", "kreative Städte", "Creative Industries" oder "kreative Fußballstars". Außerdem werden massenhaft Adjektive wie "witzig", "frech", "ideenreich", "frisch" und "flott" verwendet. Die drei hohlsten Sätze des Kalenders lauten erstens: "In Deutschland sind nach einer Studie top: München, Stuttgart, Hamburg, Frankfurt, Berlin, Köln und Düsseldorf." Zweitens: "Wer auf dem Regiestuhl sitzt, übernimmt die künstlerische Verantwortung" (neben der Abbildung eines Regiestuhls). Und drittens: "Das Designthema Leuchten ist eins der spannendsten - und durch neue Technologien wie LED auch eins der innovativsten."
Das ist selbstverständlich alles keine echte, sondern Fake-Sprache, die Kreativität vortäuscht, wo keine ist. Deshalb sollte sich vielleicht auch die Bundesregierung zu einem Gesetz entschließen, das solcherlei Betrug verbietet. Schließlich schreiben wir das Jahr des Ochsen und nicht das der tauben Nuss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Nach Ausschluss von der ILGA World
Ein sicherer Raum weniger
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben