Auf dem Egotrip

LÄNDERFINANZAUSGLEICH Bayern und Hessen ziehen vors Bundesverfassungs-gericht. Am Ende könnte es so kommen, dass sie mehr zahlen müssen

■ ist Volkswirtschaftler. Bis 2012 war er wirtschaftspolitischer Referent der Landtagsfraktion der Linken in Nordrhein-Westfalen. Derzeit promoviert er über die Berliner Haushaltsnotlage im Kontext der föderalen Steuerpolitik.

Zu Unrecht gilt das Thema Länderfinanzausgleich selbst unter Politikexperten als Langweilerthema. Dabei ist die Klage Bayerns und Hessens vor dem Bundesverfassungsgericht Teil der großen europäischen Debatte, ob reichere Regionen noch die armen unterstützen oder sich selbst überlassen sollen: Katalonien will nicht mehr für Rest-Spanien zahlen, Norditalien nicht für Süditalien, Flandern nicht für Wallonien, die Deutschen nicht für den europäischen Süden – und nun hat der Trend zur Entsolidarisierung auch die deutsche Innenpolitik erreicht.

In der deutschen Debatte werden, wie in Europa, zwei unterschiedliche Arten finanzieller Transfers vermischt. Zum einen können Zahlungen an Regionen erfolgen, damit diese eine Mindestausstattung an öffentlichen Gütern bereitstellen können. In Deutschland gleicht der Länderfinanzausgleich daher die Einnahmeniveaus der Bundesländer an. Zum anderen können Finanztransfers strukturpolitische Zielsetzungen haben. Abgehängte Regionen sollen durch öffentliche Investitionen und Wirtschaftsförderung in die Lage versetzt werden, die Wirtschaftskraftunterschiede zu verringern. In der EU haben die Strukturfonds, in Deutschland unter anderem der Solidarpakt II diese Funktion.

Reiche Länder bleiben reicher

Beides sollte in der Debatte voneinander getrennt werden. Denn ob staatliche Strukturpolitik langfristige regionalökonomische Trends umkehren kann, ist in der Wissenschaft strittiger denn je. Für die gesamte EU konnte bis zum Ausbruch der Weltfinanzkrise eine Annäherung der Lebensverhältnisse festgestellt werden. Innerhalb der einzelnen Nationalstaaten, etwa in Ostdeutschland oder Süditalien, sind die Ergebnisse aber mehr als ernüchternd.

Nach den Vorgaben des Grundgesetzes soll die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen werden. Im Länderfinanzausgleich geschieht dies höchst kompliziert auf mehreren Ebenen, zum Schluss füllt der Bund bestehende Lücken weiter auf. Im Prinzip funktioniert der Länderfinanzausgleich wie die Einkommensteuer. Je ungleicher die Einkommen, umso größer die Besteuerung. Wenn Bayern kritisiert, dass es im Jahr 2012 dreimal so viel zahlt wie 1995, dann spiegelt das nur die Zunahme der ökonomischen Spaltung des Landes. Auch Millionäre klagen ja, dass ihr Anteil am Steueraufkommen steigt. Die Umverteilungswirkung des Länderfinanzausgleich ist zweifellos enorm, dennoch bleiben danach die reichen Flächenländer reicher als die armen Flächenländer. Eine Ausnahme bilden die Stadtstaaten.

Berlin bekommt mehr

Tatsächlich kommt Berlin auf höhere Pro-Kopf-Einnahmen als Bayern, Hessen und Baden-Württemberg. Der Grund liegt in der Stadtstaatenwertung. Jeder Einwohner in Hamburg, Bremen und Berlin wird mit dem Faktor 1,35 gewichtet. Die Einwohnerzahl Berlins erhöht sich so rechnerisch von 3,5 auf 4,7 Millionen, die für die Abrechnung im Finanzausgleich relevanten Einnahmen pro Einwohner sinken entsprechend. Die Stadtstaaten argumentieren, dass sie für das Umland teure Infrastruktur und öffentliche Güter bereitstellen. Auch sei dies die Kompensation dafür, dass die Einkommensteuer am Wohnort und nicht am Arbeitsort erhoben werde. Gleichwohl bleibt die Stadtstaatenwertung umstritten, da es keine ökonomische Gleichung gibt, die die Kosten exakt berechnen kann. Bis zur ersten großen Finanzreform 1969 wurden die Einkommen am Betriebssitz versteuert. Verlierer der Reform waren damals die Stadtstaaten, die dann durch die steigenden Einwohnergewichtungen entschädigt wurden.

Beklagt wird auch, dass 64 Prozent der Steuerkraft der Kommunen bei der Berechnung der Einnahmen der Länder mitberücksichtigt wird. Bis 2004 waren es nur 50 Prozent. Obwohl die unterschiedlich hohen Hebesätze der kommunalen Gewerbe- und Grundsteuern herausgerechnet werden, sind die Einnahmeunterschiede zwischen den Kommunen der Geber- und Nehmerländer enorm. Da aber die Kommunen Teil der Länder und mit diesen finanziell eng verflochten sind, gibt es gute Gründe, die Steuerkraft der Kommunen auch zu 100 Prozent einzubeziehen. Denn je wohlhabender die eigenen Städte und Gemeinden, umso weniger eigene Einnahmen muss das Land über den kommunalen Finanzausgleich weiterreichen. Die Klage könnte sich daher in diesem Punkt als Bumerang erweisen.

Die Klage passt zum europäischen Trend, dass reiche Regionen nicht mehr für die ärmeren zahlen wollen

Berlin spart mehr

Schließlich argumentieren die Kläger, dass die hohen Ausgleichszahlungen keine Anreize setzen, die Ausgaben zu begrenzen oder die Einnahmen zu erhöhen. Ähnlich wie in der Steuerpolitik ist diese These empirisch durch nichts zu belegen. Weder reduziert eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes die Bereitschaft des Managers zu arbeiten noch führen hohe Ausgleichsabgaben zu Verschwendung. Die ist überall anzutreffen: Berlin versenkt Milliarden beim Flughafenbau, Bayern in seiner Landesbank. So haben die Kläger die nominalen Ausgaben von 2001 bis 2011 deutlich stärker erhöht als das größte Nehmerland Berlin. In der Hauptstadt stiegen die Ausgaben um 2,4, in Bayern um 25 und in Hessen um 28,9 Prozent. Wird die Inflation berücksichtigt, sanken die Berliner Ausgaben sogar.

Haben denn Bayern und Hessen in Wahrheit über ihre Verhältnisse gelebt? Wohl kaum. Der eigentliche Skandal bleibt die strukturelle Unterfinanzierung aller Länder und Gemeinden. Auf 222 Milliarden Euro für die Länder und 51 Milliarden für die Kommunen summieren sich die steuerrechtsbedingten Mindereinnahmen seit dem Jahr 2000, die überwiegend Reichen und Unternehmen zugutekamen. Darüber und über die Notwendigkeit einer Vermögensteuer, von der allein die Länder profitieren würden, wollen Bayern und Hessen hingegen nicht reden. Da der Finanzausgleich sowieso bis 2019 neu ausgehandelt werden muss, wären die Nehmerländer und auch das grün-rote Baden-Württemberg gut beraten, die Wiedererhebung der Vermögensteuer im Pakt mit zu verhandeln. Bayern und Hessen dürfte dies aber kaum gefallen: Da es im Osten einschließlich Berlin kaum Vermögen gibt, würde sich das Umverteilungsvolumen weiter erhöhen. BIRGER SCHOLZ