Bundeswehr probt Piratenjagd: Lara Croft im Einsatz

Die Bundeswehr soll vor der Küste Somalias Piraten fangen. Den Einsatz probt die deutsche Marine in Eckernförde - vor allem die sportliche Herausforderung reizt viele der Soldaten.

Die Einsatzkräfte "boarden" fremde Schiffe - hier nur zur Probe. Bild: ap

Entschlossen, ernst und kampfbereit blinzelt Oberstabsgefreite Nicole H. im winterlichen Sonnenschein dem imaginären Feind entgegen. Ein Kamerad der Spezialisierten Einsatzkräfte der Marine (SEKM) sichert ihren Rücken. Flink pirschen sich die SoldatInnen auf dem Kasernengelände der Marine in Eckernförde vor. Gerade haben Nicole und ihr Team sich in Sekundenschnelle aus zwölf Metern Höhe abgeseilt. Simulation: Fremdes Gebiet betreten und erkunden.

Die EU Navfor Somalia - Operation "Atalanta" soll die Piraterie vor der Küste Somalias und am Golf von Aden bekämpfen und damit den Transport von humanitären Hilfslieferungen sichern. "Navfor" steht für "Naval Forces", also für Seestreitkräfte. An der Operation sind fünf Kriegsschiffe aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Spanien beteiligt, die von dem griechischen Kapitän Antonios Papaioannou geführt werden. Derzeit sind 235 Bundeswehrsoldaten auf der Fregatte "Rheinland-Pfalz" vor Ort. Der vom Bundestag beschlossene Einsatz soll vorerst ein Jahr, bis zum 15. Dezember dauern.

Mit vorgehaltenen Waffen, immer Rücken an Rücken mit einem Partner, bewegt sich das zehnköpfige Boarding-Team in leicht geduckter Gangart umsichtig über das verschneite Gelände, die 10 bis 18 Kilo schwere Ausrüstung um den Leib gezurrt, die Pistole im Anschlag.

Die 23-jährige Nicole aus Kühlungsborn ist eine deutsche Soldatin, wie man sie sich wünschen mag - vorausgesetzt natürlich, dass man sich überhaupt deutsche SoldatInnen wünscht. Aber wenn es schon die Bundeswehr, dann auch noch im Auslandseinsatz, geben muss, dann doch bitte mit genau solchen Frauen an der Waffe - es weckt Assoziationen an die modernen Heldinnen der Computerspiele.

Wie man sich wohl als somalischer Pirat gegenüber so einer mit Hightechwaffen ausgerüsteten, offensichtlich selbstbewussten und mutigen Frau gegenüber fühlen mag? Vom ostafrikanisch-emanzipatorischen Aspekt aus betrachtet ist ihr Job sicherlich als revolutionär zu betrachten. So jagen wir Piraten!

Die Marine hat die Presse geladen, um zunächst an Land zu demonstrieren, wie die Mitglieder der Spezialisierten Einsatzkräfte der Marine Schiffe "boarden", also fremde Schiffe kontrollieren und durchsuchen. Deutschlands Marine ist wieder wer - auf der Unifil-Mission vor der Küste Libanons, bei der "Operation Enduring Freedom" und eben bei der Operation "Atalanta" auf Piratenjagd am Horn von Afrika. Hier werden spezielle Fähigkeiten im Kampf gegen den organisierten Terrorismus und die Bedrohung durch Piraten benötigt.

Hauptaugenmerk bei "Atalanta" liegt wohlgemerkt nicht auf der absichernden Begleitung von Luxuskreuzfahrtschiffen durch die Meerenge zwischen Jemen und Somalia, sondern auf der Sicherung der internationalen Hilfsgüterlieferungen. Denn rund 3,2 Millionen Menschen, rund ein Drittel der somalischen Bevölkerung, sind von diesen Lieferungen abhängig. 90 Prozent der Güter erreichen das nahezu regierungslose Land auf dem Seeweg. Jedes gekaperte Schiff der Welthungerhilfe bedeutet mehr Hunger an Land.

Nicole H. ist eine der zwei Frauen, die in dieser Einheit dienen. Bemerkenswert, denn, wie Kompaniechef Kapitänleutnant Christian Dürr erklärt, von zehn, meist männlichen Anwärtern schaffen es gerade mal sechs, die Ausbildung bis zum Ende zu durchlaufen. Die Anforderungen an körperliche Fitness, Belastbarkeit, aber auch an die Psyche lassen die Rekruten schon in der Ausbildung täglich ihre Grenzen spüren.

Das Trainingsmodul "Überleben auf See" beinhaltet simulierte Hubschrauberabstürze ins Meer, bei denen in voller Montur der Ausweg gefunden, aufgetaucht und in Sicherheit geschwommen werden muss. Daneben werden Schießen, waffenlose Selbstverteidigung, Taktik, Klettern und das Abseilen von Häusern und aus dem Helikopter geübt. "Na klar macht das Spaß, wir haben immer Action, und ich habe einen Beruf, der viel mit Sport zu tun hat - das, was ich immer wollte", erzählt Nicole H. Sie strahlt dabei. Es besteht kein Grund, ihr nicht zu glauben, dass sie gerne eine deutsche Lara Croft ist, die nur eben nicht vom Computerspieler, sondern von Bundestagsmandaten in den Einsatz geschickt wird.

Der Job sei für sie als Frau kein Problem. Anfangs habe sie sich durchsetzen müssen, aber inzwischen sei sie akzeptiert. Aber das ginge zu Beginn jedem so, auch den männlichen Kollegen. Wie sie darauf kommt, sich für acht Jahre zu verpflichten, Deutschlands Grundsätze weltweit an der Waffe zu verteidigen? "Ich war schon immer sportbegeistert und wollte einen spannenden Job, habe auf Anraten meiner Eltern aber erst mal Erzieherin gelernt", sagt Nicole H.

Die Anforderungen für eine Ausbildung bei den Spezialisierten Einsatzkräften der Marine habe sie locker erbracht, dann musste sie sich mit dem Krafttraining anfreunden und schaffte es, die sechsmonatige Ausbildung mit viel Kraft- und Lauftraining durchzuhalten. Obwohl ihr anzumerken ist, wie sehr sie ihre Arbeit liebt, ist sie realistisch: "2011 habe ich meine acht Jahre abgedient und glaube, dass ich dann das will, was die meisten Frauen irgendwann wollen" - heiraten und Kinder.

Da sie als Sanitäterin, neudeutsch "Medic", tätig ist, kann sie sich gut vorstellen, später als Rettungssanitäterin zu arbeiten. Vorher aber will sie noch einige Einsätze erleben - vier waren es bisher, jeder dauerte drei Monate. Mehr als hundert fremde Schiffe hat sie schon geboardet - wie das konkret vonstattengeht, demonstriert die Marine in der nächsten Simulation.

Im Hafen bläst eisiger Ostseewind. Das ohrenbetäubende Rattern der Rotorblätter übertönt das Geschrei der Möwen. Das Boarding-Team nähert sich per Helikopter einem Mehrzweckboot der Marine, das als Piratenschiff fungiert. In zehn Meter Höhe wird die Tür des Hubschraubers geöffnet, das Seil herabgelassen, und plötzlich sind zehn Soldaten auf dem Schiff gelandet, auf dem sich feindliche Kräfte versteckt halten sollen.

Nur eine Sekunde verharrt das Team, in Zweiergrüppchen, an Deck des verwinkelten Schiffes, dann sichert es mit vorgehaltener Waffe Treppen, Durchgänge und einzelne Räume. So wie es in der Realität passiert - vorausgesetzt, das Schiff leistet keinen aktiven Widerstand gegen eine Kontrolle. "90 Prozent der Schiffe in den Gewässern vor Somalia und dem Jemen sind bewaffnet. Meist sind es einfache Fischerboote - die Besatzung will ihren Fang verteidigen können", erklärt Kapitänleutnant Dürr. Mitnichten ist also ein kleines Dhau gleich ein Piratenschiff, nur weil es automatische Waffen an Deck führt oder versteckt hat.

Aber ob sich Piraten denn nicht auch als Fischer tarnen, sich freundlich kontrollieren lassen und nach Abziehen des Boarding-Teams den nächsten Frachter entführen könnten? "Natürlich kann das sein. Deshalb suchen wir nach zusätzlichen Indizien", sagt Dürr. Falls diese gefunden werden oder Fracht und Papiere nicht übereinstimmten, wird das Schiff zur weiteren Kontrolle in den nächsten Hafen geschickt. "Das Einsatzspektrum reicht von 12 Meter kleinen Fischerbooten bis hin zu 220 Meter langen Containerschiffen", erläutert Dürr.

Auf dem Unterdeck wird unterdessen die Durchsuchung demonstriert: Trotz der Enge der Gänge pirschen sich die Spezialisten wieselflink vor, unter ihnen Malte, 25. Der Stabsgefreite hat den Job des "Öffners", der auch verschlossene Räume und verriegelte Kisten an Bord öffnen und untersuchen muss. "Ich führe alles mit mir, was auch ein normaler Schlüsseldienst dabei hat - und dazu noch eine Bohrmaschine, Sprengstoff und eine Shotgun." Im Einsatz habe er aber bislang nur eine Kiste öffnen müssen, in ihr seien bloß Zigaretten gelagert gewesen.

Doch jetzt wird gezeigt, wie das SEKM mit Verdächtigen, die sich auf Schiffen verstecken, umgeht: Im gleichen blitzschnellen Tempo, mit dem das Schiff geboardet wurde, wird nun der Verdächtigen-Darsteller aus seinem Versteck gezerrt und durchsucht. "Get out!" - "Your arms up!" - "Down on the floor!" Der Darsteller liegt gefesselt auf dem Boden des Stahlschiffes. Das SEKM ist nicht zimperlich, man merkt den Druck, unter dem das Team steht. Denn theoretisch kann in jedem Raum des fremden Wasserfahrzeugs die tödliche Bedrohung lauern. "Jeder Einsatz ist eine herausfordernde Situation", sagt Kompaniechef Dürr.

Doch Schockereignisse, die ein posttraumatisches Belastungssyndrom nach sich ziehen können, hätten die deutschen Boarding-Teams noch nicht erlebt. Zudem werde jeder Einsatz intensiv nachbereitet. Die dramatischsten Bilder seien den Soldatinnen sicherlich von den vollbesetzten Flüchtlingsbooten in Erinnerung, die in der Meerenge am Golf von Aden schippern. Kleine Barkassen, denen Sprit und Trinkwasser ausgegangen waren, überbesetzt mit hungernden Menschen.

"Natürlich helfen wir dann, auf See hat das oberste Priorität", sagt Dürr. Meist unterstützen sie medizinisch, geben Wasser und Benzin oder schleppen das Boot in die Nähe des nächsten Hafens. Ob es sich um Menschenhändler oder ein Boot voller Flüchtlinge handele, sei dabei egal. "Save our Souls ist dann das, was wir machen", sagt der Kompaniechef. Als Sanitäterin ist auch Nicole H. in solchen Situationen nah dabei: entschlossen, ernst und hilfsbereit.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.