Kolumne Parallelgesellschaft: Die kleine Kneipe

So ist die Krise innerlich zu meistern: Sprechen Sie einfach über die guten alten Zeiten!

Wahr ist doch: Es gibt noch keine gemeinsame Tonlage für das, was jetzt Krise genannt wird - und manche meinen sogar, dies sei gut, denn ein angemessener Sound müsste klingen wie Verhängnis oder wie eine Partitur aus den Klängen vom Jüngsten Gericht. Das Krisenhafte, ließe sich allerdings ebenso gut mutmaßen - und um nichts als Mutmaßungen geht es alles in allem immer nur, dreht sichs ums Künftige -, kommt im allfälligen Gespreche und Geplaudere über das Gestern zum Ausdruck. Rheinischer Kapitalismus?: ein Paradies! Die Natur?: noch ganz bei sich! Der Mensch?: ungehetzt! Das Klima?: prima!

Um hier gleich mal nachzuhaken: Prima hätte man in den Achtzigern gar nicht gesagt, sondern: primstens, eine sympathieheischende Verniedlichung einer Anerkennung spendenden Vokabel. In den Achtzigern, lesen wir auch in diesem Blatt, sei, zumal in Kreuzberg, alles zum viel Besseren bestellt gewesen. Blixa Bargeld habe hinterm Tresen gestanden, David Bowie sei auch noch fern von Designertextilien gewesen, dafür habe er kein Gewes gemacht, stand man mit ihm am Pissbecken; auch all die anderen Celebrities der uns sympathischen Milieus seien wie Nachbarn gewesen. Nachbarn? Nicht Bürger? So muss man wohl das nostalgische Gesumse ums Schöne in alten Tagen deuten. Da möchte man doch gleich weiter assoziieren: Ist die Linke irgendwie auf Peter Alexander reingefallen - auf den Österreicher und seinen Schlager "Die kleine Kneipe"? Ist sie es nicht, von der wir alle träumen, Linke und all ihre Schützlinge - diese kleine Insel, ausschließlich Sympathen, wie man selbst einer sei, vorbehalten? Ist die kleine Kneipe nicht ein Synonym für zwanglose Plena bei Wein und Bier? Selig all die Seufzer der inzwischen Rund-um-die-Fünfzigjährigen: dass die linke Welt einst punkiger war, hierarchieflacher, ohne all die Promis, die sie hervorbringen würde, aber noch nicht hatte, weil sie ja noch im Talentstatus harrten?

Anders gedacht: Ist die Welt von gestern - rheinischer Kapitalismus mit AB-Maßnahmengarantie plus Gewerkschaftsvollautonomie - wirklich ein Schlaraffenland gewesen? In gewisser Hinsicht schon. Man hatte sein Auskommen, und manche eben nicht, aber die waren nicht zahlreich, vor allem saßen sie nicht in der eigenen Kneipe und darbten - arm plus szenig ging, arm plus gemütlich war verboten.

An der Ecke meines Hauses werden diese Erzählungen über das Gestern gerade auch geboren, wie überall, wie immer im Heute. Jetzt spielt man dort um viel Geld Karten; hebt die Zukunft aus den Angeln und träumt, so hört man es heraus, von Häuschen in den einstigen Heimaten, von Frau und Familie und einem Leben ohne Talsohlen. Es sind keine Künstler, keine mit Prestige oder Staatsgeldern Alimentierten, sondern Eisenklopper, Narkotikahändler, Gemüsekistenstapler oder Taxifahrer. Einerlei, sie sind in einem Alter zwischen Pubertät und der Chance, es ins ruhige Gewässer der Bürgerlichkeit zu schaffen, so zwischen 22 und 34, auf Odyssee immer noch, aber das Ufer gefühlt schon in Sicht.

Natürlich, manche schaffen den Absprung nicht ins Bürgerliche, das raunt mir der Kneipenwirt zu, aber die fürchten auch den Verlust ihrer Unruhe, also ihrer Jugendlichkeit - sie ersehnen ein Leben in Saus und Braus, aber nervös, wie auf dem Absprung soll es bleiben. Das muss natürlich schiefgehen, denn Nervosität und Altwerden funktionieren nicht, weshalb ja auch Bowie, Bargeld und all die anderen irgendwann Kreuzberg als ihren Abenteuerspielplatz hinter sich ließen.

Wer von Krise spricht, verrät sich oft als Krisenerwünscher, als Kassandra des Schreckens - als FantastIn dessen, was grotesk sein könnte, aber wahrscheinlich nicht wird. Der Rest, jene, die nicht links alles deuten möchten, kommt über die Runden, wenn auch oft nur irgendwie. Das Reden über die klasse Sechziger, Siebziger oder Achtziger ist die einzige Rhetorik des Scheiterns und der Erinnerung an das Glorreiche, noch Offene, die Appeal hat. Darauf stoßen wir an, bis in die Puppen, in unserer kleinen Kneipe.

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Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

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