Fräsen, Feilen und Kontemplation

Die bildungspolitischen Grundlagen im Koalitionsvertrag hören sich gut an – doch die Kompetenzen dafür hat der Bund abgegeben. Für die künftige Ministerin bleibt nicht viel

BERLIN taz ■ Das Bildungskapitel im Koalitionsvertrag ist ein vertrackter Paragraf: Es steht eigentlich alles drin, was man immer schon als vertragliche Grundlage einer Bundesregierung gewünscht hatte, und es findet auch noch am Anfang statt: die grundsätzlich positive Haltung zu Lernen, Neugier und Kreativität. Die Teilhabe aller an Bildung, eine sich schließende Lernkette vom Kindergarten bis hinauf in die Hochschulen und das Bekenntnis, dass Lerneinrichtungen immer auch Exzellenz und Professionalität anstreben. Sehr okay alles.

Aber wieso schimpfen dann alle möglichen Bildungslobbyisten wie die Rohrspatzen? Wieso ist der Verkauf von Antidepressiva rund ums Bildungsministerium sprunghaft in die Höhe gegangen? Wieso soll die bald nicht mehr amtierende Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) eine Riesenwut haben?

Es ist ein kleines Sätzlein nur, das die Brüchigkeit, man könnte auch sagen den Zynismus der vielen, vielen Bildungsformeln im Koalitionsvertrag enthüllt. Auf Seite 33 schreiben Union und SPD, „wir machen uns dafür stark, alle Kleinkinder besser und individuell zu fördern“. Stark machen, wieso stark machen, fragt man sich irritiert. Denn der Bund kann sich nicht mehr stark machen. Er hat alle Kompetenzen für die beiden wesentlichen die Kernbereiche Schule und Hochschule an die Länder abgetreten. Nicht einmal bei Zulassung und Abschlüssen für die Unis, die letzte formelle Zuständigkeit des Bundes, hat er irgendeine Gestaltungskraft. Denn die Länder können einfach abweichen von dem, was die Bundestagsabgeordneten in dem künftig deutlich bildungsferneren hohen Hause beschließen.

Gut, die künftige Bildungsministerin Annette Schavan (CDU), pardon, die Berufsschulministerin für berufspraktisches Feilen, Fräsen sowie für Fortbildungen, könnte starke Worte machen. Nur hat sie schon lange vorher versprochen, das keinesfalls zu tun. Sie wolle sich, sagte sie, auch im Stil absetzen von ihrer Vorgängerin. Das hat sie allerdings bereits getan – und sich zwei unscheinbare Preziosen in den Koalitionsvertrag schreiben lassen.

Zum einen verspricht Schavan im Teil Hochschule, „die Begabtenförderung auszubauen“. Das ist gut, denn da kennt sich die ehemalige Leiterin des Cusanuswerks, der katholischen Begabtenförderung, sehr gut aus. Zum anderen steht unweit davon eine andere sehr begabte Passage über die Geisteswissenschaften: Die seien in einer beschleunigten Welt von hoher Bedeutung. „Sie arbeiten an der Reflexion von Veränderung, an der Vergewisserung von Tradition und kulturellem Gedächtnis. Sie leisten einen entscheidenden Beitrag zu einem kritischen Selbstverständnis der Gegenwart …“

Manch einer der harten Koalitionspokerer soll ja eingenickt sein, als diese Stelle aufgeführt wurde. Das war geistlos. Denn sie ist nichts weniger als eine Allegorie auf die Bedeutung des Bildungsministeriums: eine kontemplative. CHRISTIAN FÜLLER