Sudan weist Hilfswerke aus: Medizinische Katastrophe

Scharfe Reaktion Khartums auf den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag gegen Sudans Präsidenten. Millionen Vertriebene in Darfur stehen vor dem Nichts.

Urteil mit Folgen: Den Flüchtlingen wird die medizinische Versorgung entzogen. Bild: dpa

Freuen können sich die Vertriebenen in Darfur über den Haftbefehl gegen Sudans Präsident Omar al-Bashir nur gedämpft. "Die Leute freuen sich im Verborgenen, weil ihnen nach Jahren des Leids und des Terrors endlich jemand helfen will", erklärt der Sprecher einer Vertriebenenorganisation, Hussein Abu Sharati. "Aber wir trauen uns nicht zu demonstrieren, die Regierung hat zu viele Milizen mobilisiert."

Nicht nur das. Zehn internationale Hilfsorganisationen haben am gestrigen Donnerstag auf Geheiß der sudanesischen Regierung ihre Arbeit eingestellt. Anstatt Kranke zu versorgen oder Nahrungsmittel zu verteilen, inventarisierten sie ihr Eigentum. Als nächstes, so ein Helfer, komme die Ausweisung.

"In den meisten Regionen gibt es keinen, der die von uns geleistete medizinische Versorgung fortführen könnte", warnt der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Deutschland, Frank Dörner. Internationale Mitarbeiter mussten auf Geheiß der Regierung die Krisenregion schon vor dem Richterspruch vom Mittwoch verlassen - aus Sicherheitsgründen, so die Regierung. Jetzt folgt der Rest. Bei MSF sind mindestens fünf Standorte betroffen, darunter Krankenhäuser in Niertiti und dem Lager Kalma, wo die Ärzte eine Meningitis-Epidemie bekämpfen.

Auch die Hilfsorganisation Care rechnet damit, dass ihre Mitarbeiter bald aus Darfur abziehen müssen. Ihre Arbeitserlaubnis ist der Organisation, die unter anderem gemeinsam mit sudanesischen Behörden für die Wasserversorgung in Vertriebenenlagern zuständig ist, bereits entzogen worden. "Wenn die Hilfsorganisationen das Land wirklich verlassen müssen, droht eine Katastrophe", warnt Sprecher Thomas Schwarz.

Auf 2,7 Millionen schätzen die UN die Zahl der Vertriebenen in Darfur, die auf externe Hilfe angewiesen sind - die Hälfte der Bevölkerung. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte die Regierung in Khartum gestern auf, ihre Entscheidung rückgängig zu machen. Doch Mitarbeiter von Hilfsgruppen in Darfur berichten, lokale Politiker hätten jeden Versuch, über eine Fortsetzung der Arbeit zu verhandeln, sofort abgeblockt.

Den Haager Richter uneins: Die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs, gegen Sudans Präsidenten Omar Hassan al-Bashir lediglich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen Haftbefehl zu erlassen, nicht jedoch wegen Völkermordes, ist offenbar kontrovers gewesen.

Laut Medienberichten waren nur zwei der drei Richterinnen der ersten Kammer, Akua Kuenyehia aus Ghana und Sylvia Steiner aus Brasilien, gegen den Haftgrund Völkermord, während Anita Usacka aus Lettland sich dafür aussprach. Das Mehrheitsvotum gründete sich schließlich lediglich auf Zweifel darüber, ob die genannten Ethnien der Fur, Massalit und Zaghawa tatsächlich nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppen seien. Da sie allesamt Sudanesen seien, zum Islam gehörten und schwarze Hautfarbe hätten, "stellt sich die Frage, ob von den dreien irgendeine eine eigene ethnische Gruppe ist", so das Mehrheitsvotum. Falls nicht, sei der Tatbestand des Völkermordes nicht erfüllt.

Aus Khartum gab es zudem Signale, dass noch mehr Organisationen gehen sollen. "Wenn eine Organisation ihre humanitäre Arbeit als Vorwand missbraucht, um die Sicherheit und Stabilität zu gefährden, müssen Maßnahmen ergriffen werden", sagte Sudans Vizepräsident Ali Osman Taha. Zwei lokale Menschenrechtsgruppen verbot die Regierung gleich mit.

Präsident al-Bashir selbst ließ sich bei einer von seiner Partei organisierten Kundgebung auf dem "Platz der Märtyrer" in Khartum feiern. "Wir sind ins Visier genommen worden, weil wir uns weigern, vor dem Kolonialismus niederzuknien", so al-Bashir. "Wir knien nur vor Allah nieder." Sudans Verbündete folgten unterdessen Bashirs Aufruf, die Stimme gegen den Haftbefehl zu erheben. Die Regierung Chinas - Sudans größter Waffenlieferant und Hauptabnehmer sudanesischen Öls - kritisierte den Haftbefehl ebenso wie die Russlands.

Sogar Frankreichs Außenministerium sagte, es sei unklar, ob die völkerrechtliche Verpflichtung zur Vollstreckung von Haftbefehlen des Strafgerichtshofs höher stehe als die im französischen Recht verankerte Immunität für Staatschefs. Der Sicherheitsrat der Afrikanischen Union (AU) kam in Addis Abeba zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen und beschloss nach den Worten seines Präsidenten Bruno Zidouemba aus Burkina Faso, mit "der internationalen Gemeinschaft und besonders dem UN-Sicherheitsrat" eine Unterbrechung des Verfahrens gegen al-Bashir anzustreben.

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