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Bei allen Schwächen, die unser Verfassungs-Provisorium hat: Noch gib es darin einen § 14, der behauptet, Eigentum würde verpflichten. Sein Gebrauch, so steht es geschrieben in Absatz 2, soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Inhalt und Schranken des Eigentums, verspricht das GG, würden durch Gesetze bestimmt. Was also läge näher, als endlich von der Bundesregierung und vom Parlament zu verlangen, sie mögen ihrem Wahlvolk und dessen Juristen die im GG zum Zwecke der sozialverträglichen Nutzung des Eigentums versprochenen Regelungen zur Verfügung stellen?
Das Deutsche Volk, so heißt es in der Präambel dazu, hat sich das Grundgesetz im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen gegeben. "Welche Verantwortung?", möchte ich am liebsten fragen, wenn ich lese, was Attac und andere "Linke" so organisiert an Veranstaltungen. Eine Verantwortung zu haben, bedeutet doch nicht, gleich die (exakt) passende Lösung zum Problem mitzuliefern. Es bedeutet lediglich, Rechenschaft zu fordern von denen, die handeln.
Falls das Volk dieser Republik also tatsächlich die Verantwortung fürs Grundgesetz trägt, die Regierung und das Parlament aber für die Gesetze verantwortlich zeichnen, dann sollte sich das Netzwerk Attac nicht länger darüber zerstreiten, wie denn eine gerechte Gesellschaft letztendlich auszusehen hat. Es sollte sich statt dessen mit anderen gesellschaftlichen Kräften verständigen, wie man den richtigen Leuten die richtigen Fragen stellt. Dann, nehme ich an, könnte es durchaus auch mit der Massenbewegung klappen. Am 28. März, am 16. Mai oder an irgend einem x-beliebigen 9. Oktober. In welcher Stadt dieses Landes auch immer.
Großdemonstration hie, Großdemonstration da. Demonstrieren ohne Alternative, das ist nicht neu. Immerhin ließen sich endlich ein Haufen Leute blicken, die von der Krise nichts verstehen, zum andern endlich die Demokratie stellen wollen. Angst um sich selbst haben, wäre eine bessere Auskunft. Da kann sich Regierung gleich dazustellen. Will man mit den Rechthabern und Besserwissen endlich ein Wörtchen reden heißt es dann, wir wissen schon alles und wir haben immer Recht. Hier brauchen wir die Krise.
Ganz Deutschland ist in den letzten drei Jahrzehnten nach rechts gerückt, zeigt eine taz-Datenanalyse. Im Osten besonders drastisch.
Kommentar Attac-Kongress: Vom Kongress auf die Straße!
Toll, dass 2.500 TeilnehmerInnen beim Kapitalismuskongress von Attac teilgenommen haben. Der Erfolg zeigt sich aber erst, wenn Zehntausende auf die Straße gehen.
Mit mehr als 2.500 TeilnehmerInnen war der Kapitalismuskongress von Attac die größte linke Bildungsveranstaltung der vergangenen acht Jahre. Und es mangelte auch nicht an Gegenvorschlägen zum derzeitigen Wirtschaftssystem. Sie reichten von einer Rückbesinnung auf die Ursprünge der sozialen Marktwirtschaft über einen Green New Deal und eine Neuauflage von Bretton Woods bis hin zur Rückkehr zur Planwirtschaft - unter demokratischem Antlitz, versteht sich. Die hohe Teilnehmerzahl zeigt: Der Drang nach Antworten auf die Frage, wie es zu dieser allumfassenden Krise kommen konnte und wie sehr den Menschen die Frage nach Alternativen zum gegenwärtigen Wirtschaftssystem auf den Nägeln brennt, ist groß. Doch mehr leider auch nicht. Der dringend notwendige Kampfgeist - er blieb aus.
Dass die GlobalisierungskritikerInnen auf dem zweitägigen Kongress kein umfassendes Gegenkonzept zum Kapitalismus erarbeiten konnten, ist ihnen auch nicht wirklich anzukreiden. Denn wenn sich nicht einmal renommierte Wirtschaftswissenschaftler trauen, eine verlässliche Prognose zu wagen, wie die Weltökonomie in einem Jahr aussehen wird - wie sollen die zumeist ehrenamtlichen Attac-Mitglieder die Krise in all ihren Facetten verstehen und gar Lösungsstrategien liefern?
Und trotzdem drängt die Zeit. Die Einbrüche betreffen auch hierzulande schon lange nicht mehr nur den Autoabsatz oder den DAX. Schon in wenigen Wochen wird die Krise auch den Arbeitsmarkt mit voller Wucht getroffen haben. Dann ist spätestens im Frühsommer auch nicht mehr von Kurzarbeit die Rede, sondern von Langzeitarbeitslosigkeit. Und spätestens nach den Bundestagswahlen wird sich die Frage stellen, wie die gigantischen Konjunktur- und Bankenrettungspakete gegenfinanziert werden sollen. Es wird einen Verteilungskampf geben, den die Bundesrepublik seit ihrer Gründung nicht erlebt hat.
Debatten um eine gerechte Welt frei von Profit und Gier in allen Ehren. Der Erfolg des Kapitalismuskongresses zeigt sich aber erst, wenn tatsächlich am 28. März und 16. Mai Zehntausende in Berlin und Frankfurt auf die Straße gehen.
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Kommentar von
Felix Lee
Wirtschaft & Umwelt
war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.
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