Stiftungsexpertin über Afghanistan: "Mehr Soldaten führen zu mehr Gewalt"

Fortschritt in Afghanistan gibt es erst, wenn Weltgemeinschaft und eine neue afghanische Regierung das bereitgestellte Geld sinnvoll einsetzen, sagt Stiftungsexpertin Koch-Laugwitz.

Mehr Soldaten für Afghanistan? Provozieren nur mehr Gewalt, meint Koch-Laugwitz. Bild: dpa

taz: Frau Koch-Laugwitz, US-Präsident Obama will 17.000 weitere Soldaten nach Afghanistan schicken, aber auch mit den Taliban verhandeln. Eine gute Kombination?

URSULA KOCH-LAUGWITZ, 52, ist gerade aus Kabul zurück. Dort leitete sie zwei Jahre lang die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung.

Der deutsche Verteidigungsminister stimmt der Ankündigung des US-Präsidenten Barack Obama, mit gemäßigten Taliban über einen Frieden in Afghanistan zu verhandeln, sehr verhalten zu. Franz Josef Jung (CDU), auf Truppenbesuch in Afghanistan unterwegs, sagte am Dienstag, solche Verhandlungen seien vor allem Sache der Regierung in Kabul. Präsident Hamid Karsai müsse jedoch auf einem Gewaltverzicht der Verhandlungspartner bestehen, sagte Jung weiter. Sein Staatssekretär Christian Schmidt sagte, wichtig sei, "dass wir nicht mit weißlackierten Terroristen reden." Jung forderte in Masar-i-Scharif, dass die EU die Polizeiausbildung forciere: "Es geht darum, dass Europa jetzt schnellstmöglich diesen Aufbau vollzieht." Statt der lange zugesagten 400 Ausbilder sind immer noch erst 200 vor Ort. Deutschland hat selbst jahrelang seine diesbezüglichen Verpflichtungen nicht wahrgenommen. UWI

Ursula Koch-Laugwitz: Es war bislang noch immer so, dass mehr Soldaten in Afghanistan zu mehr Gewalt geführt haben. Nun wird erklärt, dass man dort vorgehen wolle wie im Irak: noch einmal "richtig rein", um dann "rauszukönnen". Wie sich dieses Irak-Rezept eins zu eins auf Afghanistan übertragen lassen soll, muss man mir aber erst noch einmal erklären. Was die Verhandlungen mit den Taliban angeht, so laufen die ja erstens auf verschiedenen Ebenen schon länger. Zweitens ist es doch selbstverständlich, dass ein Dialog zur Beendigung eines solchen Konflikts notwendig ist. Das hat man nur in Bezug auf Afghanistan viel zu lange geleugnet.

Begründet wird die Truppenaufstockung damit, dass mehr Einsatz gegen Aufständische noch einmal nötig sei. Dann komme endlich der Aufbau.

Nur passiert das ja schon die ganze Zeit nicht. Die Erfahrung haben übrigens auch die Briten und Kanadier im Süden gemacht: Wenn man eine Region erobert hat und nicht sofort wirtschaftliche Perspektiven dort anbietet, sickern bloß Taliban ein und übernehmen wieder.

Braucht es also mehr Geld für den Aufbau?

Nein, das Problem ist schon die ganze Zeit eben nicht die Menge des Geldes, sondern dass das Geld nicht anständig ausgegeben wird. Man muss mit dem Geld umgehen, damit planen, abrechnen können. Man muss die Kapazitäten haben, jenseits der Mauern des Präsidentenpalastes in Kabul sinnvolle Projekte aufzuziehen. Die Regierung Hamid Karsai verlangt unablässig mehr Geld und eigene Kontrolle über dessen Vergabe, hat diese Kapazitäten aber noch nicht ausreichend entwickelt.

Muss Karsai bei den Wahlen dieses Jahr also abgelöst werden, damit der internationale Einsatz Erfolg hat?

Die Amerikaner haben zwar schon signalisiert, dass sie mit Karsai nicht zufrieden sind. Doch wenn er nicht mehr der Mann Amerikas ist, muss man das noch viel deutlicher machen. Denn die Afghanen werden bei den Wahlen pragmatisch vorgehen und sich für den Kandidaten entscheiden, der am meisten Unterstützung der Weltgemeinschaft einwerben wird.

Viele beklagen Deutschlands Zurückhaltung beim Thema Afghanistan. Wünschen Sie sich mehr deutsche Vorschläge?

Für Afghanistan gibt es erstens ausreichend Strategiepapiere. Die internationale Gemeinschaft samt USA müsste sich auf ein koordiniertes Vorgehen verständigen. Jede Woche eine neue Strategie aus dem Hut zu zaubern, schafft bestenfalls Verwirrung. Zweitens halte ich die Schwerpunkte des deutschen Entwicklungsministeriums insgesamt für richtig, ebenso wie den deutschen Ansatz, sich jenseits von Kabul, auch auf den unteren Ebenen, um die Herstellung von Staatlichkeit zu kümmern. Über Erfolg und Misserfolg solcher Projektlinien kann man aber drittens nicht in deutschen Wahlperioden urteilen. Das braucht mehr Zeit.

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