Die Stadtneurotiker

ZERSCHREDDERTE TRÄUME Klimabedingte Erosionen und zusammengebrochene Märkte. Die Bilder und Aktionen von Folke Köbberling & Martin Kaltwasser

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Das Haus stürzt ab. Zentimeter für Zentimeter sieht man es in der Fotoserie über die Kante eines Plateaus aus Stein und Fels rutschen. Hinten schieben die Helfer der Künstler, die das Holzhaus erst demontiert und in den Bergen bei Innsbruck wieder aufgebaut haben. Unten hält die Kamera das Zerbrechen der Wände und den Verhau aus Latten fest, der von der Zerstörung übrig bleibt.

„Trash your house“ heißt das Video von Folke Köbberling & Martin Kaltwasser, aus dem diese Fotos stammen. Mit ihnen eröffnen sie ihr Buch „hold it!“, das Aktionen aus sieben Jahren ihrer gemeinsamen Arbeit im Kunstkontext und im öffentlichen Raum dokumentiert. „Trash your house“ gleicht einem Ritual, der Austreibung eines bösen Geistes: Symbolisch lässt sich die Aktion beispielsweise auf Bauen in Bergregionen beziehen und die klimabedingte Erosion ganzer Hänge, die Häuser und Dörfer wegrutschen oder unter Schlammlawinen begraben lässt. Ein anderes Szenario, vor dem man das Video lesen kann, ist der zusammengebrochene Immobilienmarkt in den USA und seine zerschredderten Träume. Aber über diesen politischen Bezugsrahmen hinaus leben die Bilder davon, dass es so schön kracht. Das Katastrophische wird zum ästhetisch genießbaren Spiel.

Zurzeit hat das Künstlerpaar aus Berlin (das zusammen zwei Kinder hat, die man mit Bauhelmen auch in dem Bilderbuch „hold it!“ sieht) eine Gastprofessur in Los Angeles, am Pasadena Art Center College of Design inne. Beide haben Kunst und Architektur studiert. 2002 bekam Folke Köbberling von ihrem Vater die Restbestände seines Elektronikfachgeschäfts geschenkt, das der Konkurrenz der Großmärkte nicht mehr gewachsen war. Mit einem Bauchladen aus diesen Restbeständen zogen Folke und Künstlerfreunde los, um elektrische Widerstände zu verkaufen und Gespräche über Ökonomie, Konsumgesellschaft, Widerstand und den Umgang mit dem öffentlichen Raum anzuzetteln, vorzugsweise in Einkaufspassagen. Symbolisch eindeutig in ihrer Kapitalismuskritik, waren diese Aktionen stets auch ein bisschen Dada.

2002 begann auch die Zusammenarbeit von Köbberling mit Kaltwasser. Blättert man durch ihr Buch, ist die Verwendung von Bau- und Industrieabfällen oder Materialien, die über Tausch organisiert werden, ebenso augenfällig wie die Lust an selbst gebastelten Pavillons, Häusern, Kiosken und Bauwagen. Früher oder später gleicht jeder Ort, an dem sie auf den Plan treten, einem Abenteuerspielplatz. Weil diese Orte zuvor aber meist städtische Brachen waren, ob in Berlin, München, Warschau oder einem Autobahnkreuz bei Wien, ist damit schon etwas gewonnen: eine temporäre Aneignung vernachlässigter Räume.

In Berlin kann man den beiden manchmal begegnen, den Anhänger ans Fahrrad gekuppelt, wie sie dort, wo etwa Fanmeilen auf- und abgebaut werden, auf Material- und Motivsuche gehen. Es mag plakativ und pädagogisch wirken, wenn sie etwa eine Bushaltestelle in Linz wohnlich einrichten und „Weltrettung“ drüberschreiben, dem Auspuffrohr eines Pkws Kondome überziehen oder die Kollision zweier SUVs aus Holz nachbauen. Doch erfüllen sie die bespielten Orte auch mit Leben, bringen zufällige Passanten und Freunde bei Grillwurst und Kaffee zusammen.

Weil aber fast alle ihre Aktionen nur flüchtige Gäste im Stadtraum sind, ist ihr Buch „hold it!“ eine schöne Ergänzung. Im Grunde gleichen ihre Installationen und Aktionen einem symbolischen Theater, das den Finger auf Probleme wie Ressourcenknappheit legt, in einer Verstetigung aber leicht auch penetrant werden könnte. Die Dinge müssen nicht bleiben, sie leben vom Wandel, wie die Stadt selbst auch.

Köbberling & Kaltwasser: „hold it!“, Jovis Verlag Berlin 2009, 240 S., 327 Abbildungen, 29,80 Euro