Kauftipps für Kurzentschlossene: Sportbücher zum Fest

Ein Bilderbuch für große Fußballfreunde
COMIC Österreichs Fußball hat nicht viel, aber er hat immerhin Matthias Sindelar

Matthias Sindelar ist ein Mythos. Zumindest in Österreich. Er wurde in der Alpenrepublik zum Fußballer des Jahrhunderts gewählt. Er wurde zum antifaschistischen Widerstandskämpfer stilisiert. Er wurde zum Helden des „Wunderteams“ der 30er-Jahre gemacht. Er bekam nach seinem frühen Tod ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof. Er wurde zum Prototypen des austriakischen Kaffeehauskickers erhoben, zum nonchalanten, dribbelstarken, ideenreichen, spitzfindigen Überstürmer mit Torgarantie. Der Wiener mit den tschechischen Wurzeln – heute würde man verdruckst sagen: mit Migrationshintergrund – wurde zum Musterbeispiel für Integration und Aufstieg in der damals noch multikulturellen Donaumetropole. Auf dem Höhepunkt seines posthumen Ruhmes versuchte man ihm dann vom Sockel zu stoßen; man dichtete ihm eine Mitgliedschaft in der NSDAP an, unterstellte ihm pure Gier bei der Übernahme eines Kaffeehauses in Wien-Favoriten, das seinem jüdischen Vorbesitzer weggenommen worden war. Kurzum: Der Name Sindelar ist überfrachtet mit Zuschreibungen und Mythenmüll. Letztlich war er ein verdammt guter Fußballer und ein wohl eher einfach gestrickter Typ.

Sascha Dreier nimmt sich seiner in einer sogenannten Graphic Novel an, also einer Bildergeschichte im Comic-Stil. Er bildet den Werdegang Sindelars in den Jahren 1903 bis 1933 ab. Ein zweiter Band soll 2011 folgen, in dem Sindelars Weg bis zu seinem Tod 1939 beschrieben wird. „Der Papierene“ heißt Dreiers Bilderbuch für erwachsene Fußballfreunde. Es ist eine Anspielung auf Sindelars Spitznamen. Erst nannte man ihn so, weil er mit seiner schmächtigen Statur den kräftigen Defensivspielern unterlegen schien, doch später wurde sein papierne Spielweise zu Sindelars Markenzeichen. Dreier geht chronologisch vor, ist instruktiv, baut eine fiktive Liebesgeschichte zwischen Sindelar und einer Schottin ein und versteht es, ein gesellschaftliches Panorama zu entwerfen, das weit über den reinen Sport hinausgeht. Sindelar steht dabei nicht allein im Mittelpunkt, sondern auch der Trainer des Wunderteams, Hugo Meisl – der Mann mit Stock und Melone.

Schafften es in der Nazizeit die kicker-Leute H. J. Müllenbach und Friedebert Becker, den Juden Meisl in einer Betrachtung des Wunderteams mit keinem Wort zu erwähnen, so wird bei Dreier klar, wer der Architekt des Wunders war, das mit spektakulären Siegen gegen Deutschland und Schottland seinen Anfang nahm. Meisl professionalisierte die Liga, und er rief den Mitropa-Cup mit ins Leben rief, den Vorläufer des Europapokals.

Meisl wird von Dreier als untersetzter Hansdampf gezeichnet, Sindelar als spindeldürrer, fliegender Seidenfuß. Andere Figuren geraten freilich zu oft zur Karikatur: Der Antisemit im Heurigenlokal tritt als fetter Widerling auf, der italienische Faschist als schmieriger Typ mit hinterhältiger Fratze. Das ist schlichtweg überzeichnet. In Dreiers Texten und Sprechblasen schimmert wiederum zu wenig Witz durch. Nein, der Schmäh rennt nicht, wie der Wiener sagt, er geht hier nur ein wenig spazieren. Trotz dieser Schwächen darf man sich auf den zweiten Band freuen, denn dann wird’s spannend, welches Kapitel Sascha Dreier in der Sindelar’schen Mythologisierung schreiben und zeichnen wird. MARKUS VÖLKER

Sascha Dreier: „Der Papierene. Das Leben des Fußballstars Matthias Sindelar“. Ueberreuter, 206 Seiten, 19,95 Euro

Auf der Suche nach der Wahrheit im Klischee
AFRIKA Irgendwo ist immer Fußball im schwarzen Teil des Kontinents

In Afrika fällt ein Tor oder es fällt kein Tor. Der Starstürmer läuft seinem Gegenspieler davon oder er hat sich verletzt. Der Schiedsrichter pfeift korrekt oder er ist urplötzlich erblindet. Wer ist schuld? Natürlich die Geister und Dämonen, die Hexen und Medizinmänner. So ist das in Afrika, so beschreibt es Bartholomäus Grill in „Laduuuuuma!“. Aber: So ist es in Afrika auch wieder nicht. Und auch das beschreibt Grill.

Das Buch ist nicht Grills erstes über den Kontinent, von dem er für Die Zeit seit langen Jahre als Korrespondent berichtet. Und es ist auch nicht das erste, das sich abarbeitet an den afrikanischen Klischees. Auch wenn diese Sammlung von Reportagen und Hintergrundtexten unter dem Untertitel „Wie der Fußball Afrika verzaubert“ zusammengestellt wurde mit Blick auf die WM 2010, ist sie doch vor allem eins: ein Buch über Afrika.

Grills Afrika ist der schwarze Teil des Kontinents. Die arabischen Länder kommen bei ihm nicht vor. Anhand des Sports, der die Welt bewegt, versucht Grill zu erklären, wie dieses Schwarzafrika funktioniert. Oder besser: wie es allzu oft nicht funktioniert. Aber weil der Fußball, vor allem in Afrika, nicht zu trennen ist von der Politik, schreibt Grill in der ersten Hälfte des Buchs eher über Afrika im Allgemeinen und die aktuelle Situation im WM-Gastgeberland im Speziellen. Da kommt der Fußball etwas kurz. Aber dann nimmt Grill Fahrt auf, zieht los auf staubige Plätze, von denen vor dem Training erst einmal die Rinder vertrieben werden müssen, und langweilt sich beim „Schlafwagenfußball“ der ersten Liga. Er erzählt anhand des Fußballs die Geschichte der Apartheid und trainiert selbst die Jungs aus der Nachbarschaft. Er fährt auf die Gefängnisinsel Robben Island, wo die einsitzenden ANC-Kämpfer eine eigene Liga aufgebaut hatten und Fußball zum Teil des Freiheitskampfes wurde. Aber Grill muss bei einer Reise durch Ruanda auch feststellen, dass der Fußball nicht alle Wunden heilen kann, die einer der brutalsten Bürgerkriege aller Zeiten geschlagen hat.

Grill steckt in einem Dilemma. Seit anderthalb Jahrzehnten lebt er in Südafrika, er hat das Land liebgewonnen, aber er will auch nichts schönschreiben. Also kreist er notgedrungen beständig um die ewigen Fragen: Wo hört die Wahrheit auf, wo beginnt das Klischee? Oder sind die beiden womöglich deckungsgleich? Sein Buch ist noch keine Seite alt geworden, da war Afrika schon „bedrohlich“ und versprühte Nelson Mandela einen „zauberhaften Charme“. Kurz darauf beklagt sich Grill bitterlich über die vorurteilsbeladene Berichterstattung der Kollegen, vor allem über die Panikmache des Spiegel.

Man spürt, es tut ihm weh, aber schlussendlich muss er viele Klischees – wenn schon nicht bestätigen – dann doch zumindest illustrieren. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als die gewohnten Figuren vorbeiziehen zu lassen: Die korrupten Politiker und die sich selbst bereichernden Funktionäre, die Fußball-Entwicklungshelfer aus dem fernen Europa und natürlich auch die Medizinmänner, die mit ihren Zaubertränken und geheimnisvollen Ritualen meist wichtiger scheinen als sogar die Trainer. Aber das ist ja auch kein Wunder: „Laduuuuuma!“ ist eben nicht nur ein Buch über Fußball, sondern vor allem und in erster Linie eben ein Buch über Afrika. THOMAS WINKLER

Bartholomäus Grill: „Laduuuuuma! Wie der Fußball Afrika verzaubert“. Hoffmann und Campe, 260 Seiten, 20 Euro

Der Messias, der vom Tennissport kam
HAGIOGRAFIE Die Passion des Andre Agassi und seine Erlösung von dem Bösen

Das Timing von Andre Agassi hätte nicht besser sein können. Auf dem deutschen Büchermarkt jedenfalls trifft er mit seiner Autobiografie den Nerv der Zeit. „Probleme, Schmerzen, Depressionen sind nichts Schlimmes: Wir teilen alle denselben Kampf – egal wie viel Geld wir haben“, verkündete er kürzlich bei der Vorstellung seines Werkes in Berlin. Es ist das Thema dieses Sportjahres. Der Tod von Robert Enke und die Biografie von Sebastian Deisler („Zurück ins Leben“) haben den Blick dafür geschärft, dass es hinter der schönen Fassade des Leistungssports sehr düster aussehen kann.

„Open“ hat Agassi, die einstige Nummer eins der Tenniswelt, seine Memoiren genannt, in denen er schildert, wie er von seinem Vater zum Tennisprofi herangezüchtet wurde. Als im Herbst die verkaufsfördernden Bestandteile seiner Lebensgeschichte vorab veröffentlicht wurden – es ging um den Konsum der Partydroge Chrystal Meth am Tiefpunkt seiner Karriere –, da waren die Größen des Tennissports, wie Boris Becker und Roger Federer, eifrig darum bemüht, die beschmutzte Fassade wieder reinzuwaschen. Sie geißelten Agassis späten Hang zur Transparenz als schädlich für den Tennissport.

Aber wer sich auf diese noch wenigen unbekannten harten Fakten des Buches fokussiert, dem ist einiges entgangen. Denn Agassi bietet interessante Einblicke, wie schädlich die unbarmherzigen Förderer des Leistungssports für die Seele eines Menschen sein können. Agassi erzählt, wie sein Vater ihn zum Sklaven seines Ehrgeizes machte und wie später der Tennis-Guru Nick Bollettieri diese Rolle übernahm: „Ich habe meine Kindheit in Isolationshaft und meine Jugend in einer Folterkammer verbracht.“ Sein Bekenntnis, dass er Tennis hasst, schon immer gehasst hat, ist der rote Faden, der sich durch seine Schilderungen zieht.

Warum er von dem Sport auch als Erwachsener nicht lassen konnte, erschließt sich aber nicht wirklich. Agassi betrachtet sich als Opfer, dem früh der eigene Wille genommen wurde. Agassi lässt den Leser in seinen Kopf schauen, wie er sagt. In aller Ausführlichkeit – das Werk umfasst knapp 600 Seiten. Warum? „Ich will den Menschen Inspiration geben, wie sie ihr schwieriges Leben meistern können.“ Ein wahrhaft messianischer Anspruch. Anders als bei Deisler geht es nicht um die Erzählung eines Gescheiterten. Es ist eine Heldengeschichte, wie die Verlagsleiterin der deutschen Ausgabe erklärt. Der Pulitzer-Preisträger J.R. Moehringer hat ihr den entsprechenden Schliff gegeben.

Die späte Wendung zum Guten, die Heirat mit der göttergleich beschriebenen Steffi Graf („Einen Moment lang glaubte ich sogar, einen Heiligenschein über ihrem Kopf zu sehen“) und Agassis spät gefundener Lebenssinn (benachteiligten Kindern zu helfen), das ist es, worauf die Geschichte die ganze Zeit hindrängt. Der auf das Happy End ausgerichtete Spannungsbogen lässt die schmerzlichen, aber interessanten Passagen in den Hintergrund treten. Am Ende bleibt die etwas schale Erkenntnis, dass man auch unter den misslichsten Umständen Erfolg haben kann. Viele lieben solche Geschichten. Die Peiniger von Agassi und anderen Leistungssportlern würden gewiss nichts anderes behaupten. JOHANNES KOPP

Andre Agassi: „Open – Das Selbstporträt“. Droemer Knaur, 589 Seiten, 22,95 Euro