Pro und contra: Versagen die Linken in der Krise?

Der Kapitalismus steckt in der Krise, das Bankensystem hat Konkurs angemeldet - Haben die Linken die richtigen Antworten fragen sich die taz-Meinungsredakteure Ines Kappert und Ambros Waibel.

Das Pro von INES KAPPERT

Natürlich gibt es "die Linke" nicht. Aber es gibt ein Versagen aufseiten derer, die sich als nicht systemkonform begreifen. Und dieses hat mit der Wissensakkumulation in den letzten 20 Jahren zu tun. Ob Poplinke oder ob Bewegungslinke: Jeweils wurde über Systemalternativen nicht mehr nachgedacht. Für solche Überlegungen nämlich war das Einsehen in die eigene Ohnmacht zu groß. Doch ebenso groß war und ist verblüffenderweise das Vertrauen, dass man trotzdem selbstbestimmt handeln würde. Von Ausgebeutetsein keine Spur; bestenfalls wurde die Selbstausbeutung zur Sprache gebracht. In diesem Paradox hatte man sich prima eingerichtet.

In der Folge wurde es vorrangig, die feinen Unterschiede zu begreifen, ging es darum, das Bewusstsein für sexistische und rassische Distinktionsgewinne zu schärfen. Das grobe Denken mithin, das über die Frage: "Wem nützt es?" die Lebens- und Erfahrungswelt sortiert, hatte das Über-Ich der Systemkritiker nachhaltig unter Strafe gestellt. Für das Über-Ich der Eliten übrigens war das Denken von "Wir versus ihr" die systematisierte Voraussetzung ihres Wirtschaftens. Wie wir jetzt sehen. Denken können "wir" es ja immer noch nicht.

Und nun? Nun weigern sich die Linken, ausgerechnet das einzusetzen, was sie sich als kulturelles Kapital in den Zeiten der akzeptierten systematischen Alternativlosigkeit erworben haben: Selbstkritik. Sie weigern sich, ihre eigene Neoliberalisierung zum Thema zu machen - und bleiben einfach staatstragend und steuerbar.

Um aber wieder relevant zu werden, um ein vom Status quo abweichendes Gesellschaftsmodell entwickeln zu können, bedarf es der Neugierde. Man benötigt eine Offenheit, die die Expertise in ökonomischen Zusammenhängen nicht mehr gegen das kulturelle Wissen um Selbstentwürfe und Selbstregulierungen ausspielt. Diese peinlich genau durchgehaltene Trennung ist nämlich Teil des Problems, das die Linken so ruiniert hat.

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Das Contra von AMBROS WAIBEL

Die Linke hat die richtigen Antworten auf die Krise – nämlich konservative: Ost- wie Westdeutsche sehnen sich nach einer Gesellschaft unter der Führung des nicht zufällig seine mediale Auferstehung feiernden Helmut Schmidt – einer Gesellschaft, in der die Unterschiede zwischen Reich und Arm, oben und unten dem gesunden Menschenverstand entsprechen.

Wo sollte die Linke auch sonst anknüpfen? An 68? Wo doch die Basis des Aufbruchs eine nach heutigen Maßstäben robuste Konjunktur war? Oder an den „dritten Weg“, den dann nach 1989, als er frei gewesen wäre, niemand einschlagen wollte? Der einzige historische Bezugspunkt für eine revolutionär gestimmte Linke wäre der „reale Sozialismus“, konkret die DDR. Denn die DDR machte mit der Mauer klar, dass ihr Verhältnis zum Kapitalismus ein antagonistisches und gewalttätiges war – mit den bekannten Folgen.

Die Linke kann gar nicht anders, als an die Reparaturfähigkeit des Kapitalismus, an die Wohlgesinntheit seiner Repräsentanten zu appellieren. Wer die Linken verspottet, man höre von ihnen „kein revolutionäres Tönchen“ (FAZ), verschweigt, dass der Epochenbruch von 1989 sie immer noch lähmt. Ausbeutung, Herrschaftsverhältnis, antagonistische Widersprüche – bloß nicht, da beginnt von den Gewerkschaften über Poplinke bis hin zu Attac das große posttraumatische Zittern!

Die Geschichte ist keine Geschichte von Konjunkturprogrammen: Entweder diese Krise ist tatsächlich systemrelevant – dann wird es zu sozialen Kämpfen kommen, die 1989 in historische Ferne entrücken; oder sie ist es nicht, und die Dinge laufen erst mal weiter, mit oder ohne Opel, HRE oder Woolworth. Die Linke wartet. Einst wird man mit Rührung an sie denken: als die netteste Linke, die es hierzulande je gegeben hat.

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